Du hast wohl ´nen Vogel

(Radioandacht – Augenblick mal! – Radio HBW – vom 29. August 2020)

Hallo und schön, dass sie heute wieder dabei sind. Ich bin Lars-Uwe Jung, Prediger in den Landeskirchlichen Gemeinschaften Aschersleben und Hettstedt.

Hören sie doch mal auf diese Worte aus Psalm 84. Ich möchte sie einmal aus der BasisBibel, einer neueren Bibelübersetzung, vorlesen. Schlagen Sie danach doch mal ihre Lieblingsbibel auf und lesen den Psalm ein zweites Mal. Er wird sicherlich noch schöner.

2 Wie lieb sind mir deine Wohnungen, du Herr der himmlischen Heere.

3 Ich war voller Sehnsucht, ein einziger Wunsch brannte in meiner Seele:

Ich möchte so gerne beim Herrn sein – in den Höfen, die seinen Tempel umgeben.

Festfreude erwärmt mir Herz und Leib. Ich bringe sie vor den lebendigen Gott.

4 Auch der Sperling hat ein Zuhause gefunden, und die Schwalbe fand ein geeignetes Nest.

 Dort hat sie ihre Jungen sicher untergebracht.

Solchen Schutz bieten auch deine Altäre,

du Herr der himmlischen Heere, mein König und mein Gott.

5 Glücklich ist, wer in deinem Haus wohnt. Dafür sollen sie dich immerzu loben!

Psalm 84,2-5 aus der Übersetzung BasisBibel (Deutsche Bibelgesellschaft, Suttgart 2012)

Da ist ein Mensch, der singt von seinem größten Wunsch. Er gibt seiner tiefsten Sehnsucht eine Melodie. Er fasst seine Gedanken in Worte. Gedanken, Worte, Sehnsucht, Wünsche. Er ist erfüllt davon und steckt andere an. Es bildet sich ein Chor, Menschen, die gemeinsam von dieser Sehnsucht singen.

Es ist kein Chor der Profis, der Musiker, die erst an die Öffentlichkeit treten, wenn sie ihr Musikstück fehlerlos beherrschen. Es ist ein Mitmachchor für alle, die dieselbe Sehnsucht teilen, in denen der gleiche Wunsch in der Seele brennt.

Die Menschen, die dieses Lied das erste Mal gesungen haben, wollten es im Jerusalemer Tempel singen. Aber es scheint so, dass sie ihn zwar kannten, im Augenblick aber nicht hinein konnten. Sie befanden sich aus Gründen, die wir nicht kennen, an anderen Orten.

Dieses Lied ist also auch ein Lied des Heimwehs. Heimweh nach einem Ort, wo sie sich wirklich zu Hause fühlen konnten. Sie würden gerne wie Schwalben auf die Reise gehen und zum Tempel fliegen. „Wie schön ist es, in diesem Haus Wohnrecht zu haben.„, das war ihr Gedanke.

Vielleicht geht es dem einen oder anderen von ihnen auch so. Seit einem halben Jahr können wir nicht so Gottesdienst feiern, wie wir das gewohnt waren. Es scheint so, dass uns etwas geraubt wurde, was uns lieb und wichtig war und noch immer ist. So können wir diesen Psalmsängern gut nachfühlen.

Trotzdem ist auch das andere wahr, was wir in diesem Lied hören dürfen. Es geht nicht nur um den Tempel, den Kirchraum, sondern um den, der diesen Raum erfüllt: Gott. Als Christen dürfen wir wissen, dass dieser Gott sich nicht auf Räumlichkeiten begrenzen lässt.

Jeder, der sich Jesus Christus anvertraut, ihm also Raum gibt in seinem Leben, darf Tempel Gottes sein. Daran erinnert uns nicht nur der Apostel Paulus immer wieder, sondern auch Jesus selbst. Der ganze, heilige, lebenschaffende Geist Gottes, Sehnsucht der Welt, macht sich klein und kommt in unser Leben. Machen wir das doch auch zu unserem Lied.

Und wenn dann unser Mitmenschlein sagt: „Du hast wohl ‚nen Vogel!“ Dann lächeln wir verschmitzt zurück und sagen: „Da hast du wohl recht. Aber ich bin auch einer. Bin gerade auf dem Flug zusammen mit Jesus – nicht allein. Bei ihm bin ich geborgen!“ 

Ihr Lars-Uwe Jung von den Landeskirchlichen Gemeinschaften in Aschersleben und Hettstedt