Ein paar Gedanken zu Kapitel 22 aus der Apostelgeschichte.
Stell Dir vor, Du sitzt auf der Anklagebank und musst Dich verteidigen. Schlimm genug, dass Dir keiner zur Seite springen kann. Kein Verteidiger zur Stelle. Das Einzige, was Du vorbringen kannst ist: “Ich hatte einen Traum, und dann geschah es …” oder: “Plötzlich umgab mich ein Licht und eine Stimme sprach zu mir … ” Als ob das nicht reicht, beendest Du Deine Rede mit: “Schließlich geriet ich in Verzückung …”. Ich denke, jeder von uns kann sich die ungläubigen, vielleicht sogar schmunzelnden Gesichter der Anwesenden vorstellen. Was würde wohl der Richter antworten? Ich erspare mir jetzt die Gedankenspielerei.
Doch genau so argumentiert Paulus vor der Volksmenge. Nur Dank der funktionierenden römischen Ordnungsmacht entgeht er dem Mob, der ihn lynchen will. Paulus hatte sehr wohl gemerkt, dass die Menge aufgestachelt worden war. Trotz der aufgeheizten Stimmung, versucht er sich zu verteidigen. Er bekommt die Gelegenheit. Doch warum beginnt er sein Hauptargument mit einer Vision? Und warum beendet er seine Rede mit dem Bericht, wie er einst in Verzückung geriet?
Für uns heute wäre das wirklich absurd. Möglicherweise wäre es auch alles andere als hilfreich. Selbst für die Menschen damals waren Träume und Visionen nichts Selbstverständliches. Allerdings war es auch nichts, was sie so einfach abtun würden. Es war eine reale, wenn auch seltene Möglichkeit.
Das Hauptargument von Paulus ist deswegen auch weder die Vision, noch die Erfahrung der Verzückung. Es gehört aber zu seinem persönlichen Erleben und bildet den Titel seiner Verteidigung. Denn da ist etwas, was er mit der ganzen Volksmenge gemeinsam hat, eine Sehnsucht, die sie alle verbindet.
“Unser aller Traum ist wahr geworden!”
So kann man seine Verteidigungsrede zusammenfassen. Nachdem Paulus deutlich macht, dass ihm das jüdische Gesetz sehr wichtig ist und er sich nicht so einfach an der Nase entlang führen lässt, kommt er auf den Punkt. Nach seiner Vision, kam nämlich ein Mann namens Hananias auf Paulus zu. Zögerlich, aber vertrauensvoll, sagt der fromme Mann:
“Der Gott unserer Väter hat dich erwählt, dass du seinen Willen erkennen sollst und den Gerechten sehen und die Stimme aus seinem Munde hören; * denn du wirst für ihn vor allen Menschen Zeuge sein von dem, was du gesehen und gehört hast. * Und nun, was zögerst du? Steh auf, lass dich taufen und deine Sünden abwaschen und rufe seinen Namen an.”
(Apostelgeschichte 22,14–16 nach der Lutherbibel 2017)
Das ist also der Grund der Vision. Paulus ist der Meinung, er sei von Gott erwählt. Man glaubt es kaum. Aber damit will Paulus sich nicht zu jemand Besonderen machen. Worum es ihm geht:
“Ich durfte den Gerechten sehen und hören! Ich durfte Gottes Willen verstehen.”
Das war der Traum der Menschen damals, die tiefste Sehnsucht des jüdischen Volkes. Sie alle wollten den Gerechten sehen. Das war einer der Titel des lange erwarteten Retters. Messias wird er auch heute noch genannt, der König, der alles zurecht bringt. Da soll jemand kommen, der nach Recht und Gesetz nicht nur urteilen, sondern auch in Ordnung bringen wird. Er soll Heilung ins Land bringen, Heil zu den Menschen, die auf ihn warten. Von diesem Gerechten spricht Paulus: Jesus. Er verteidigt sich dabei gar nicht mehr. Er ruft laut raus:
“Euer aller Traum ist wahr geworden!”
Jeder kann durch ihn den Willen Gottes kennen lernen. Jeder ist erwählt den Gerechten kennenzulernen. Jeder darf heil werden. Auch für Dich und mich. Für jeden steht das Angebot: “Lass Dich entlasten! Lass Dir Vergebung zusprechen! Nimm es an und mach es konkret: lass Dich taufen, wenn Du es noch nicht bist. Sprich zu ihm! Er will Dich hören! Zögere nicht! Er will zu Dir reden. Auch Du sollst ihn sehen.”
Dazu brauchen wir nicht in Verzückung geraten oder auf eine Vision warten. Trotzdem dürfen wir alle dasselbe erleben, wie Paulus: Gottes heilmachende Gegenwart. Der Gerechte steht an Deiner Seite: Jesus! So steht’s geschrieben. Naja, und vielleicht spürst Du dabei ja auch etwas. Warum nicht?! Dieser Traum kann auch für Dich wahr werden. Ist er es schon?