Wer mag es eigentlich gerne kritisiert zu werden?! Ich nicht! Muss ich sagen. Und wenn dann jemand auf einen zukommt und sogar offene Kritik übt, mag man das um so weniger. Wie geht man am besten damit um? Ich finde es ungemein spannend zu sehen, wie Johannes in seinem Jesusbericht solche Dynamiken schildert; und wie Jesus auf Kritik an ihm eingeht. Da sagt Nathanael, einer der späteren Apostel von Jesus über Jesus ganz unverblümt:
“Was kann aus Nazareth Gutes kommen?”
(Johannes 1,46)
Jesus war zu dem Zeitpunkt nicht dabei. Es ist jedoch interessant zu lernen, dass Nathanael aus Kana kommt, der konkurrierenden Nachbarstadt von Nazareth in den galiläischen Bergen (Johannes 21,2). Das soll wirklich einer von denen da der Retter des Volkes sein? Geht doch gar nicht! Darf nicht sein! Das ist nicht nur offene Kritik. Sie hat einen unschönen Beigeschmack von Arroganz.
Das Überraschende ist jetzt, dass Jesus offen selbst für diese Art Kritik ist, die den guten Ton vermissen lässt. Ich muss ehrlich sagen, dass mir das schwer fällt. Vielleicht zuckt Jesus auch innerlich zusammen. Johannes ist aber viel wichtiger zu erzählen, wie Jesus nicht nur auf Nathanaels Reaktion reagiert, sondern auch auf ihn selbst als Person eingeht.
“Als Jesus Nathanael erblickte, sagte er: »Hier kommt ein wahrer Israelit, ein ganz und gar aufrichtiger Mensch!« Nathanael staunte: »Woher kennst du mich?« Jesus erwiderte: »Noch bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen.«”
(Johannes 1,47–48 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle)
Jesus schmeichelt Nathanael hier nicht einfach um ihn einzulullen. Denn er macht deutlich, dass er ihn schon kennt. Jesus wusste also schon von Nathanaels abfälliger Art. Er hat aber auch bemerkt, dass er ‘unter dem Feigenbaum saß’. Damit meint Jesus nicht einfach einen Baum. Denn es handelt sich hier um eine Art Sprichwort. Denn der Feigenbaum ist ein Symbol für das Volk Gottes. Nathanael meint es also vollkommen ernst damit. Er möchte ganz bewusst zum Volk Gottes gehören und studiert deswegen auch die Heiligen Schriften seines Volkes. Er ist nicht nur arrogant. Er kennt sich wirklich aus in der Schrift. Nazareth gehört wirklich nicht zu den vornehmen Städten und offensichtlich nicht zu denen aus welchen man den von Gott versprochenen Retter erwarten würde.
Soweit der Hintergrund des Gesprächs. Im Verlauf dessen öffnet sich Nathanael aber für Jesus. Seine Kritik öffnet sich. Aus einer offenen Kritik wird eine sich öffnende Kritik. Er merkt, dass Jesus ihn als Mensch achtet und auch als ehrlichen Gottsucher. Trotz seiner Arroganz spricht Jesus ihm nicht seine Authentizität ab.
Es ist so ermutigend zu lernen, dass Jesus zwar unsere Schwächen kennt, uns aber nicht danach verurteilt. Er sieht die Ernsthaftigkeit, die anderen verborgen bleiben würde. Und genau das lässt Nathanael aufhorchen, nachdenken, reflektieren, sich selbst hinterfragen. Denn erstaunt antwortet er:
“»Rabbi, du bist wirklich Gottes Sohn!«, rief Nathanael. »Du bist der König von Israel!«”
(Johannes 1,49 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle)
Jesus reagiert jetzt aber nicht geschmeichelt. Er offenbart Nathanaels lückenhaftes Verständnis und verspricht ihm gleichzeitig diese Lücken mehr als auszufüllen.
“Jesus sagte: »Das glaubst du, weil ich dir gesagt habe, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah. Aber du wirst noch viel größere Dinge zu sehen bekommen.«”
(Johannes 1,50 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle)
Du wirst noch größere Dinge zu sehen bekommen! Das sagt Jesus auch zu Dir und mir. Größere Dinge als unsere Herkunft, die uns Halt gibt oder vielleicht hat fallen lassen. Größere Dinge als unsere Abgrenzung zu anderen oder die Angst nicht dazu gehören zu dürfen. Größere Dinge als unsere persönliche Frömmigkeit. Größere Dinge als wir uns selbst erarbeiten könnten.
“Du wirst den Himmel offen sehen.”
(Johannes 1,51 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle)
Jesus lädt uns ein aus unserem persönlichen Kana, dem Ort, in dem wir uns verschließen, mit ihm zusammen gen Himmel zu schauen. Von dort wird er uns mit weit Größerem beschenken, als wir uns vorstellen können. Und weißt Du was? Johannes berichtet uns, wie Jesus immer wieder nach Kana kam und wie sich dort Menschen für ihn öffneten und Großes erlebten. Warum sollte er nicht zu Dir in Deine Stadt kommen?