Predigtmanuskript
Kennt Ihr die Sesamstraße und das Titellied, “Der, die das, wer, wie, was, wieso weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.”
Als Lukas seine Quellen für die Apostelgeschichte recherchiert, stellt er immer wieder dieselben Fragen. Wer war dabei? Wen, unter den vielen wichtigen Menschen, erwähne ich besonders? Wie passierten die Dinge eigentlich? Wie und warum breitete sich die christliche Gemeinde so schnell aus? Was passierte da genau an wesentlichen Dingen? Wie lebten die ersten Christen ihren Glauben? Wie lebten sie Gemeinde? Wieso machten sie das so und nicht anders?
“Der, die das, wer, wie, was, wieso weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm. 1000 tolle Sachen, die gibt es überall zu sehn. Manchmal muss man fragen, um sie zu verstehn.” (Ingfried Hoffmann, Stettin *1935)
Das ist der vollständige Text des Sesamstraßenlieds. (Von Lena Meyer-Landrut gibt es eine neuere Interpretation zum 40. Jubiläum der Sesamstraße.)
Mit einigen dieser Fragen will ich heute an das Ereignis herangehen, in dem wir wichtige Impulse für unsere Gemeinde finden können.
(Apostelgeschichte 13,1–4 nach der Zürcher Bibelübersetzung von 2007)
“Es gab nun in Antiochia in der dortigen Gemeinde Propheten und Lehrer: Barnabas, Simeon, der auch ‹der Schwarze› genannt wurde, Lucius, der Kyrener, Manaen, ein Jugendgefährte des Tetrarchen Herodes, und Saulus. 2 Als sie Gottesdienst feierten und fasteten, sprach der heilige Geist: Bestimmt mir den Barnabas und den Saulus für das Werk, zu dem ich sie berufen habe. 3 Da fasteten und beteten sie, legten ihnen die Hände auf und liessen sie gehen. 4 Ausgesandt vom heiligen Geist, zogen sie nach Seleukia hinunter, von dort setzten sie über nach Zypern.”
“Wer, wie, was, wieso weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.”
Schauen wir mal. Fragen wir mal.
• Lukas gibt uns einen Einblick in die Gemeindezusammensetzung und fragt: “Wer ist damals dabei?”
• Dann sucht er nach dem Gemeindeleben: “Was zeichnet sie aus? Wie organisieren sie die Gemeinschaft?”
• Zuletzt geht es um das Wieso, Weshalb, Warum und damit um das Herz der Gemeinde.
Wer wird hier erwähnt?
Hier erscheint niemand von den zwölf Aposteln. Auch wird die Jerusalemer Gemeinde nicht weiter erwähnt. Wir können aber dieselben Dynamiken beobachten. Da passieren ganz ähnliche Dinge.
Es ist also ganz anders und doch alles gleich.
Auf den ersten Blick scheint es zum Beispiel, dass Gott hier und in Jerusalem nur zum engsten Leitungskreis spricht. So einfach ist das aber nicht. Lukas erwähnt in beiden Städten, Jerusalem und Antiochia, Begebenheiten, wo die ganze Gemeinde mit einbezogen wird. Sie macht oft sogar den Anfang und gibt dem Leitungskreis Aufgaben. Abgesehen davon sieht es an dieser Stelle auch vom Satzbau so aus, dass Lukas die ganze Gemeinde meint.
Trotzdem treten ein paar Personen besonders in der Vordergrund. Mit diesen Personen beschreibt Lukas die Vielfalt der Gemeinde. Während in Jerusalem alle Apostel aus der Provinz Galiläa kommen, sind die Leiter der Gemeinde in Antiochia aus vielen Ländern.
Hier treffen also nicht nur verschiedene Charaktere und Familien aufeinander, sondern auch Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen und sprachlichen Hintergründen.
Ich denke, dass sich unsere Gemeinschaften eher der in Jerusalem ähneln: gleichförmig aufgebaut (und familiär). Worum es aber eigentlich geht, sind die Prinzipien, die dahinter liegen.
Es geht um das was immer gleich bleibt auf der einen Seite und auf der anderen Seite das, was uns am Anderen inspirieren und motivieren kann.
Jetzt könnte man sich beschweren, dass keine Frauen erwähnt werden. Das Thema steht aber auf einem anderen Blatt von Lukas Apostelgeschichte. Dort erwähnt er mehrere Prophetinnen, Lehrerinnen, Lydia die erste Christin in Europa etc.
Was für Leute waren das hier in Antiochia? Sie waren offen für den anderen in seiner Andersartigkeit.
Da war Barnabas, der ursprünglich aus Zypern kam, dann aber als Teil einer Großfamilie nach Jerusalem gezogen war. Dort nimmt er ziemlich schnell den Glauben an Jesus an und wird Christ, begibt sich auf einen neuen Weg. Er ist wohlhabend und spendet einen ganzen Teil seines Besitzes für die Armen in der Gemeinde in Jerusalem. Sohn des Trostes wird er auch genannt.
Gleich als zweite Person erwähnt Lukas Simeon. Sein Spitzname war Niger, Schwarzer, also. Was für uns heute vielleicht abwertend klingt, war damals nicht so. Worum es geht ist, dass auch Menschen aus Afrika nicht nur zur Gemeinde, sondern auch zum Leitungskreis in Antiochia gehören. Abgesehen davon war einer, der wichtigsten Kirchenväter der Kirchengeschichte, Afrikaner und von dunkler Hautfarbe, Aurelius Augustinus. Er lebte im vierten Jahrhundert im heutigen Tunesien und inspirierte durch seine Schriften Martin Luther. Auch für die römische Kirche ist er ganz wesentlich. Die Wurzeln der christlichen Kirche sind also weder weiß noch europäisch, sondern bunt, multikulturell und international.
Der dritte ist Luzius aus Kyrene, also aus dem heutigen Libyen bzw. Tunesien.
Dazu lesen wir von Manaën. Er war Jude und hatte eine ausgezeichnete Bildung, wurde sozusagen in einem Eliteinternat zusammen mit den einflussreichsten Familienangehörigen im östlichen römischen Reich erzogen. Einer davon war Herodes, genau der Mann, der Johannes den Täufer hatte umbringen lassen, später Jesus interviewt und verspottet. Zurück zu Manaën. Sein Name bedeutet Tröster.
Der fünfte und letzte, den Lukas erwähnt, ist Saulus, den wir eher unter dem Namen Paulus kennen, also auch ein Mann mit zwei Namen, wie Simeon Niger.
Da waren also fünf Menschen aus den unterschiedlichsten familiären, gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründen.
Dazu kommen ihre Begabungen. Die einen konnten die großen Zusammenhänge gut erklären. Die anderen in die konkrete Situation hinein Worte von Gott hineinsprechen. Zwei von ihnen hatten selbst großen Trost erlebt oder hatten die Fähigkeit Menschen zu trösten oder wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Lehrer, Propheten und Seelsorger. Das sind nur drei der Schwerpunkte, von denen wir in der Gemeinde in Antiochia hören.
Trotz ihrer Unterschiede oder vielleicht sogar genau wegen ihrer Verschiedenheiten, gebraucht sie Gott um seine Gemeinde zu gestalten. Die eigene, persönliche Vergangenheit und Prägung ist kein Gefängnis. Lukas sieht Unterschiede in Begabungen, Hintergründen und Erfahrungen offensichtlich als Potenzial, als Geschenk.
Er grenzt nicht aus. Er sieht auch nicht nur theoretische Möglichkeiten. Er beschreibt den konkreten Nutzen und Segen, dieser Unterschiedlichkeiten. Da wird niemand gleichgeschaltet.
Die Unterschiede sind wesentliche und wichtige Zutaten für den Kuchen, den Gott da in Antiochia zusammenrührt und backt. Und weil Gott es tut und die Zutaten sich auch gebrauchen lassen, passieren ganz besondere Dinge.
Lassen wir uns doch von Gott auch durchmischen und unsere gemeinsamen Erfahrungen und unterschiedliche Erlebnisse, Prägungen und Hintergründe zusammenbacken.
Wie geht das? Was passiert da?
Dazu gibt uns Lukas Antworten. Da ist neben der Andersartigkeit als zweites der Einblick in das Leben der Gemeinde und als drittes, wer oder was sie bewegt. Wieso, weshalb, warum die Gemeinde so ist, wie sie ist?
Wenn wir uns von Gott gebrauchen und zusammenmischen lassen, bekommt der Kuchen auch einen guten Geschmack. Da wird nichts fade oder versalzen. Wie rührt Gott die Zutaten zusammen?
Wie war das Leben in der Gemeinde? Wie gestaltet sie ihre Zusammenkünfte? Was passiert im Hintergrund?
Wenn wir uns die Gemeinde in Jerusalem und Antiochia anschauen, entdecken wir bestimmte Gewohnheiten. Immer wieder, von Anfang bis Ende, beschreibt Lukas das Leben der verschiedenen Gemeinden.
“Sie alle widmeten sich eifrig dem, was für sie als Gemeinde wichtig war: Sie ließen sich von den Aposteln unterweisen, sie hielten in gegenseitiger Liebe zusammen, sie feierten das Mahl des Herrn, und sie beteten gemeinsam.”
(Apostelgeschichte 2,42 nach der Bibelübersetzung Gute Nachricht)
Das war in Jerusalem. Jetzt erwähnt Lukas hier, dass die Gemeinde in Antiochia auch eine Liturgie hatte. Das ist das Wort, das hinter dem steht, was die Gute Nachricht Bibel, Hoffnung für alle und andere mit ‘dem Gebet widmen’ übersetzt und Luther und die katholische Einheitsübersetzung oder auch die Zürcher Bibel ‘Gottesdienst halten oder feiern’ nennen.
Da geht es nicht in erster Linie um eine einzelne spezielle Aktion, sondern das ganz normale Leben als Gemeinde.
Da kommen verschiedene Menschen zusammen und haben spezielle Gewohnheiten. Bei diesen Gewohnheiten geht es nicht nur darum gemeinsam etwas zu machen. Es ist eine Gemeinschaft mit bewusster Anwesenheit Gottes. Es geht darum sich auf Gottes Wort, die Bibel, einzulassen, mit Gott in einen Dialog zu treten, also zu beten, sich an den stellvertretenden Tod von Jesus und seine Wiederkunft zu erinnern, also Abendmahl feiern.
Genau in solch eine Situation redet Gott durch seinen Geist. Er redet, weil die Menschen sich auf ihn einlassen und ihn anschauen. Sie feiern nicht sich selbst, sondern Gott. Sie feiern Gottesdienst. Er ist nicht weit weg. Er ist ihnen nah.
Gott mischt sich in diese so ganz bunte, in sich unterschiedliche Gemeinschaft von Christen ein, wie er das auch in Jerusalem gemacht hat. Nur, dass es dort traditioneller und nicht ganz so bunt ablief.
Da passiert also das gleiche in anderen Umständen. Die Liturgie, das Leben der Gemeinde, ist also von denselben Prinzipien geprägt.
Was steckt nun hinter diesen Prinzipien?
Das ist die Frage nach dem Wieso, weshalb, warum.
Lukas gibt uns einen Einblick in das Herz der Gemeinde.
Bei allen Unterschieden setzen alle doch dieselben Prioritäten. Alles, was sie tun, ist gefüllt davon. Alles, was sie sind, ist ausgerichtet auf Jesus. Ihre Sehnsucht ist die nach Gemeinschaft mit Gott. Sie lassen sich nicht treiben vom Tageslauf. Sie füllen sich gemeinsam in allen Fragen mit dem Willen Gottes.
Das bedeutet es zu Fasten. Sie fasten nicht um Buße zu tun und sich zu kasteien, zu schlagen, weh zu tun. Noch viel weniger geht es um Kalorien. Sie fasten, weil sie einen klaren Kopf und ein klares Herz brauchen. Sie wollen Gottes Stimme von anderen unterscheiden können. Sie haben ganz einfach Sehnsucht nach Gott und wollen sie sich nicht rauben lassen.
Fasten bedeutet für sie, ganz bewusst Zeit mit Gott verbringen. Zeit mit Gott ist keine Anstrengung, sondern Kraftquelle.
Dazu will Lukas uns und alle anderen Leser seiner Apostelgeschichte motivieren. Kommen wir gemeinsam mit unseren unterschiedlichen Vorstellungen vor ihn mit der Sehnsucht, seine Stimme zu hören und seinen Willen nicht nur zu hören, sondern auch zu tun.
Lernen wir, Fragen zu stellen.
Es geht nicht um unsere Vorstellungen, sondern um Gottes Vorstellungen. Es geht nicht um unseren Willen, sondern Gottes Willen. Wir treten aus der Mitte heraus und lassen Jesus in die Mitte. Wir drängeln uns nicht vor, sondern öffnen unser Herz und unsere Gemeinschaft für Jesus. Wir zeigen ihm nicht, was wir alles machen und leisten können oder wollen. Wir versammeln uns um Jesus herum und lassen ihn an uns handeln und zu uns reden.
Das ist das Bild eines befreiten Menschen, einer befreiten Gemeinde. Willst Du das auch? Dann nimm Dir jetzt Zeit zum Gebet. Sprich zu ihm und lass Gott zu Dir sprechen. Hör zu, was er Dir persönlich sagt und lass Dich dann darauf ein, was er anderen sagt. Vielleicht ist es ja dasselbe.
Nimm Dir also jetzt gleich Zeit auf Gott zu hören.
Amen