Herzlich willkommen im neuen Jahr! Was wird es bringen? Was werden wir mitnehmen? Lassen wir uns überraschen. Eins soll uns aber in diesem Jahr begleiten. Daran sollen wir uns immer wieder erinnern:
Gott ist ein Gott, der uns sieht.
Dieser Gott bleibt nicht nur außen vor und schaut zu. Er ist unser, er ist dein und er ist mein Gott. Daran, und an noch mehr, erinnert uns die diesjährige Jahreslosung aus 1.Mose 16,13.
“Du bist ein Gott, der mich sieht.”
Wann habt Ihr das das letzte Mal bewusst erlebt? Ist es schon lange her oder eher etwas Alltägliches? Ist es etwas Bedrohliches oder Ermutigendes? Verbindet Ihr mit diesem Erleben einen bestimmten Zeitpunkt oder sogar einen Ort? Manchmal ist es ja so, dass wir uns an bestimmte Dinge, Begegnungen, Situationen noch lange erinnern. Da hat sich etwas tief in uns eingegraben.
Die Jahreslosung stammt jedenfalls aus dem Bericht über eine Frau namens Hagar. Eigentlich spielt sie nur eine Nebenrolle in ihrem Umfeld. Was sie dann aber erlebt; daran erinnern sich später Menschen, die in der Bibel wichtige Hauptrollen übernehmen. Sie adoptieren die Aussage der Nebendarstellerin Hagar in ihr Leben. Und so bleibt sie für alle gültig. Was für Hagar gilt, hat auch Bedeutung für uns heute.
“Du bist ein Gott, der mich sieht.”
Aber was verbindest Du mit dieser Aussage? Ist es das Lied: “Pass auf, kleines Auge, was du siehst … denn der Vater im Himmel schaut herab auf dich … Pass auf, kleines Händchen, was du tust …” und so weiter. “Pass nur auf!” Das ist die Warnung, die viele in diesem Lied hören. Diese Worte haben das Leben von vielen Christen zum Unguten geprägt. Wenn Hagar und andere biblische Gestalten das aber sagen, empfinden sie es nicht als Warnung. Es tut ihnen gut, doppelt gut sogar.
Zum Einen: Sie fühlen sich ganz tief geborgen.
Zum Anderen: Sie fühlen sich beschützt.
Hagar
Bevor wir diese zwei Dinge anschauen, blicken wir doch mal auf die Geschichte von Hagar. Hagar ist die Magd von Sarai, der Frau Abrahams. Heute würde man Hausangestellte sagen. Als Abraham irrtümlicherweise nach Ägypten reist, also über sein Ziel hinaus schießt, bekommt er vom verunsicherten Pharao Hagar als Sklavin geschenkt. Was damals durchaus üblich war, ist für uns heute ganz undenkbar. Aber lassen wir uns doch mal auf diese Zeit und ihre Regeln ein. Versuchen wir es zumindest.
Zurück zu Hagar. Sarai und Abraham hatten als Ehepaar natürlich einen Kinderwunsch. Gott hatte ihnen sogar einen Nachkommen versprochen. Doch irgendwie klappte das nicht. Was für eine Enttäuschung! Die damals übliche Lösung war nun die folgende. Die Ehefrau gibt ihrem Ehemann ihre Magd als Frau auf Zeit. Während der Geburt, hockt sich die eigentliche Frau, in unserem Fall Sarai, der Gebärenden, also Hagar, gegenüber und nimmt das Kind entgegen. Damit das Kind der Magd zum rechtmäßigen Kind der eigentlichen Frau des Vaters. Seltsam, sehr seltsam, finde ich. Aber so war es damals. Im Grunde genommen ist es so etwas wie heute eine Leihmutterschaft. Einfach war das aber damals schon nicht.
Als Hagar merkt, dass sie schwanger ist, denkt sie nach und fühlt sich Sarai plötzlich weit überlegen. Der Konflikt ist natürlich vorprogrammiert. Schließlich eskaliert er. Hagars Überreaktion führt zur Überreaktion Sarais. Die Beziehung ist zerstört, die Hierarchie durchbrochen, das Anstellungsverhältnis gefährdet. Das ist aber nicht alles. Es kommt noch schlimmer. Die Beziehung zwischen Sarai und Abraham leidet. Abraham steht zwischen den Stühlen, was abzusehen war. Als Hausherr und oberster Arbeitgeber bietet er seiner Frau an, Hagar zu kündigen. Darauf geht Sarai aber nicht ein. Sie beginnt Hagar zu mobben. Die erträgt das nicht mehr und flieht. Das ist die Situation, in der Hagar Gott erlebt und schließlich sagt:
“Du bist ein Gott, der mich sieht.”
Denn auf der Flucht begegnet ihr ein Bote Gottes und macht ihr Mut. Er baut die Zerbrochene wieder auf. Kommen wir jetzt zu zumindest zwei Dingen, die uns dieses Bekenntnis sagen will.
Das Erste: Bei Gott erleben wir eine tiefe Geborgenheit.
Das Zweite: Bei Gott finden wir Schutz. Die andere Seite der Geborgenheit.
Zuerst: Bei Gott erleben wir eine tiefe Geborgenheit.
Das Spannende an dieser Geschichte ist, dass auch Hagar Schuld auf sich geladen hat. Dem Mobbing von Seiten Sarais geht das Mobbing Hagars voraus. Natürlich hätte man das auf diplomatischen Weg lösen können. Aber die Situation war ab einem bestimmten Punkt so verwickelt, dass Hagar keinen Ausweg als die Flucht sieht. Ab in den Süden in Richtung Ägypten. Vielleicht könnte sie dort woanders anheuern. Doch auf diesem Weg findet sie sich in der Wüste wieder. Die Steine um sie herum erinnerten sie an die Last, die sie trägt. Der Sand zwischen ihren Zähnen an den Zorn und die Enttäuschung, die sie mitgenommen hat. “Und der Gott Abrahams schaut nur von Weitem zu, mehr nicht.” Das sind vielleicht ihre Gedanken gewesen, hochschwanger, allein und verlassen mit einer ungewissen Zukunft. Das Überraschende ist jetzt, dass genau dieser Gott Hagar mit ihrer Schuld und der Schuld der anderen nicht allein lässt. Gott kommt zu den Schuldiggewordenen und bietet ihnen an, sich bei ihm zu bergen. “Ich habe Dich gesehen. Erzähl doch mal Deine Sicht von der Geschichte.”
Wie geht es Euch damit? An welche verfahrenen Situationen erinnert Ihr Euch? Habt Ihr eine Lösung gefunden? Habt Ihr eine gesucht? Habt Ihr versagt oder wurdet vertrieben oder seid geflohen vor der Aufarbeitung? Verwickelt, verfahren, verdreht. In genau diese Situation spricht Gott: “Ich habe Dich gesehen und bin Dir nahe. Ich habe Dich nicht verlassen. Du kannst Dich bei mir bergen. Das ist mein Angebot für Dich.” Das will uns Gott mit der Jahreslosung sagen.
Hagar jedenfalls ist so überwältigt, von dieser persönlichen Ansprache, dass sie diesen Zuspruch festhalten will. Sie gibt genau diesem Ort, an dem sie die Geborgenheit Gottes erlebt, einen Namen: “Brunnen des Lebendigen, der mich sieht.” Genau dieses Erleben schenkt ihr ein neues Gottesbild:
“Du bist ein Gott, der mich sieht.”
Dieses Erlebnis und ihr erneuerter Glaube führen dazu, dass sich auch andere daran erinnern und ermutigt werden. Der Sohn ihrer Gegnerin Sarai, Isaak, lässt sich als Nomade an diesem Brunnen immer wieder nieder. (Ja, Sarai bekommt später wirklich einen eigenen Sohn. Gott spricht auch zu ihr und lässt sie wieder lachen.) Isaak auf jeden Fall kehrt immer wieder an diesen Ort zurück. Von zwei Begebenheiten wissen wir. Die erste ist eine Zeit der Einsamkeit. Die zweite der Trauer, als sein Vater Abraham stirbt. In diesen Situationen geht er an den Ort, an dem Hagar Gott erlebt hatte. Isaak merkt: “Gott ist derselbe gestern, heute und morgen, für andere und für mich auch.”
Was ist der Ort, welcher der Zeitpunkt, an dem Du Gott so ganz persönlich erlebt hast? Wie war das bei anderen? Wäre es ein gangbarer Vorschlag, an diesen Ort zurückzugehen oder sich Zeit für eine Reise in diese Zeit und an diesen Ort zu machen? Manchmal gehen uns die Versprechen Gottes verloren. Wir kennen sie zwar. Aber wir haben die Hoffnung und vielleicht auch den Glauben verloren. Irgendetwas ist dazwischen gekommen. Wir finden uns in der Wüste der Einsamkeit, Trauer, Enttäuschung und und und. Genau dann ist es gut zurückzudenken, damit wir wieder vorangehen können.
“Du bist ein Gott, der mich sieht.”
In ihm bist Du, sind wir geborgen.
Das Zweite: Bei Gott finden wir Schutz.
Erinnern wir uns nochmal daran, dass Hagar sowohl Opfer war, aber auch Schuld auf sich selbst geladen hatte. Sie war nicht das Unschuldslamm. Da waren ein paar ganz große schwarze Flecken zu sehen auf ihrem Fell. Sicher flieht sie auch davor. Doch die Flecken bleiben erstmal da, wo man sie sich selbst aufgemalt hat oder wo sie einem von anderen angemalt wurden. Da ist also wirklich dieser Gott, von dem wir in dem Kinderlied singen: “Pass auf, kleine Hand, was du tust; kleiner Mund, was du sagst, kleines Hirn, was du denkst …”
Doch in dieser Geschichte um Hagar ist es nicht eine drohende Warnung, sondern ein Zuspruch, der jedem gilt. Genau in diesem Bewusstsein will uns Gott begegnen. Er hat alles gesehen. “Gott – du hast doch genau gesehen, was der und die da getan haben. ….” Stimmt genau. Das hat er. Nach einem bisschen Nachdenken dann aber die Erkenntnis:
“Gott – du hast auch gesehen, was ich verbockt habe. Ich habe das nicht so gesehen und will es immer noch nicht seh. Du aber. Wie gut das ist. Denn du stößt mich nicht weg. Du siehst mich mit meiner Schuld. Deswegen kommst du zu mir. Du kommst nicht nur um die dunklen Flecke zu vertuschen. Du kommst, um sie zu aufzuarbeiten, mir zu helfen sie dir zu zeigen und reinigen zu lassen. Du willst mich ganz heilen. Siehst auch mein Herz und nicht nur meine Fassade.”
Wenn wir diese Geschichte im 16ten Kapitel vom ersten Buch Mose lesen, merken wir, wie schön und einfühlsam Gott Hagar begegnet. Er will sie nicht nur vor Sarai schützen. Worum es ihm geht, ist mehr. Gott will Hagar vor sich selbst schützen und sie von ihren Zwängen befreien.
“Du bist ein Gott, der mich sieht.”
Das bedeutet, dass Gott mir begegnet, alles sieht und meine Vergangenheit aufarbeiten will. Gott will mich in meiner Gegenwart erneuern und dann meine Zukunft neu gestalten. Hagar geht auf das Angebot Gottes ein. Sie erlebt diese tiefe Geborgenheit, die man nur beim Schöpfer der Welt erleben kann. Sie erlebt aber auch, dass er sich schützend um sie stellt. Und in diesem Bewusstsein beendet sie ihre Flucht.
Was für ein neuer Anfang in dem Bewusstsein, dass Gott uns sieht. Was für ein Start ins neue Jahr!