Gestillte Sehnsucht (Johannes 4)

Predigtmanuskript

Wir feiern heute den zweiten Advent. Jesus kommt zu uns. Gott lässt sich auf ein Miteinander mit uns ein. Er fordert uns liebevoll heraus. Er verbindet unsere Stärken mit seiner und macht sie komplett. Er hilft uns unsere Schwächen wahrzunehmen um sie auszufüllen. Er begegnet uns als geliebte Menschen. Schauen wir mal auf solch eine Begegnung, von der uns Johannes in seinem Jesusbericht erzählt.

Da ist Jesus auf dem Weg. Jesus unterwegs. Jesus auf Wegen, die man nicht von ihm erwartet hätte. Er überrascht mal wieder. Jesus auf dem Weg nach Jerusalem mitten durch Samarien. Samariter, das sind Leute, bei denen man eigentlich die Straßenseite wechselt, wenn man sie sieht. Samariter, das sind auch Menschen, die die Straßenseite wechseln, wenn sie Juden sehen, egal ob Jesus oder wer anderes. Beides Nachbarn, die sich streiten über Lebensart und Meinung über Gott und die  Welt. Alles ist ausdiskutiert. Man hat sich nichts mehr zu sagen. Man geht sich lieber aus dem Weg. 

Jesus geht niemand aus dem Weg, auch keinem Missverständnis. Er nimmt uns mit auf seinem Weg. 

Doch zurück nach Samarien an den Brunnen, der die Geschichte von Juden und Samaritern vereint. Ihr beider Stammvater Jakob, der auch unter dem Namen Israel bekannt ist, hatte einen Brunnen gegraben, weil keine Quelle zu finden war. Hunderte von Jahren wurde er gepflegt und instand gehalten. Es war genau dieser Jakobsbrunnen; der Ort , an dem diese Geschichte spielt.

Nun wieder zurück zu Jesus. Jesus durstig, Jesus ganz Mensch. Er sitzt in der Mittagshitze neben einem Brunnen und kommt nicht ans Wasser.

Jesus war von dem langen Weg müde geworden und setzte sich an den Brunnen. Es war gegen Mittag. * Da kam eine samaritische Frau zum Wasserholen. Jesus sagte zu ihr: »Gib mir einen Schluck Wasser!«
(Johannes 4,6-7 nach der Gute Nachricht Bibel 2018)

Gib mir zu trinken! 

So beginnt das Gespräch. Jesus knüpft an dem an, was die Frau hat. Sie kommt um Wasser zu schöpfen. Jesus bittet sie, Ihr etwas davon abzugeben. Jesus kommt nicht und fragt: “Was ist denn mit Dir los? Warum kommst Du mittags, wenn es am heißesten ist? Warum kommst Du allein? Wo sind die anderen Frauen?” Denn mittags und allein geht man nicht Wasser holen. Da ist was faul bei der Frau. Aber Jesus bohrt nicht nach. Ganz im Gegenteil. Er selbst zeigt sich als der Hilfsbedürftige. Seine Jünger hat er schon weggeschickt in das Städtchen um Essen zu besorgen.  

Das ist übrigens das Prinzip Weihnachten. Gott kommt als Hilfsbedürftiger. Jesus kommt als Baby, vollständig abhängig von anderen. Gott zeigt sich von seiner menschlichen Seite. 

Ich denke, dass es genau das ist, was uns immer wieder so überrascht. Es geht nicht um den süßen Knaben im lockigen Haar, sondern um ein bedürftiges kleines Menschlein. Das quakt seine Mutter an Milch zu geben. Es ist angewiesen auf andere, muss vor Kälte geschützt werden und findet als Heizung Tiere im Stall. 

Es ist das Prinzip Advent und Weihnachten mit dem Jesus der Samariterin begegnet. Er weiß schon alles über sie, alle dunklen Seiten, alle Sehnsüchte, alle Träume, die sich nicht erfüllt haben. Jesus aber kommt anders als erwartet. Er bittet die Frau ihm zu helfen. 

Jesus lädt ein ihm zu dienen mit dem, was man kann und hat. Bei der Samariterin war es der Schluck Wasser. Den bekommt er auch. Was ist es bei uns, bei Dir? 

Jetzt kommt aber die überraschende Wendung. Er antwortet:

»Wenn du wüsstest, was Gott den Menschen schenken will und wer es ist, der dich jetzt um Wasser bittet, dann hättest du ihn um Wasser gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.« …  »Wer dieses Wasser trinkt, wird wieder durstig. * Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird nie mehr Durst haben. Ich gebe ihm Wasser, das in ihm zu einer Quelle wird, die bis ins ewige Leben weitersprudelt.«

(Johannes 4,10.13-14 nach der Gute Nachricht Bibel 2018)

Was passiert hier? Jesus nimmt die Überraschung der Frau, verbindet sie mit dem, was sie geben kann und führt sie einen Schritt weiter. Er sagt: 

Das, was Du hast, möchte ich Dir auch geben. Ich will aber noch mehr. Ich füll das alles mit Leben. Ich fülle Dich mit Leben. Ich verbünde mich mit Dir 

Du kannst gut mit Kindern, mit Senioren, kannst gut organisieren, bist kreativ, musikalisch und vieles mehr. Vielleicht ist es auch nur etwas ganz Unscheinbares, ein Schluck Wasser, eine Tasse Kaffee. Jesus sagt Dir: 

Ich füll das mit Leben. ich fülle Dich mit Leben. Ich kann gut mit Dir, kann Dich neu ordnen, Dein Tagaus-tagein bunt machen, ein neues Lied in Dein Leben schreiben. 

Bist Du bereit Jesus zu dienen mit Deinen Gaben und Dir zeigen zu lassen, wie er Dir im selben Bereich noch mehr geben kann und in allen anderen auch?

Vielleicht antwortest Du: 
Du fragst mich? Ich kann von alldem nichts. Früher vielleicht mal. Heute nicht.
 Jesus antwortet zurück: 
Dann freue ich mich um so mehr Dich zu beschenken!
Daran schließt Jesus seine zweite Bitte. Er bittet die Frau um etwas, das sie nicht erfüllen kann.

Geh und bring deinen Mann her!

Plötzlich und unerwartet berührt Jesus den wunden Punkt im Leben der Frau. Er offenbart die tiefe Sehnsucht in ihr nach Treue, nach Halt, nach zuverlässiger Gemeinschaft. Für die Frau war es ihr gebrochener Lebenslauf. Sie war inzwischen mit dem fünften Mann zusammen. Normalerweise trennten sich Frauen nicht von Männern. Männer schickten ihre Frauen weg. Jesus fragt nicht nach Gründen. Er erwartet keine Entschuldigung. Die Frau tut das auch nicht. Sie wechselt einfach das Thema. 

»Herr, ich sehe, du bist ein Prophet«, sagte die Frau. * »Unsere Vorfahren verehrten Gott auf diesem Berg. Ihr Juden dagegen behauptet, dass Jerusalem der Ort ist, an dem Gott verehrt werden will.«
(Johannes 4,19–20 nach der Gute Nachricht Bibel 2018)

Einerseits lobt sie Jesus, andererseits prüft sie ihn. Wie kommt er darauf als Jude, sie als Samariterin auf ihre wunden Punkte hinzuweisen? Das Gespräch hatte so schön angefangen. Ewiges, erfülltes Leben! …und dann macht Jesus alles kaputt. Der kommt aber zurück auf den Punkt. Er verliert nicht den roten Faden. Er möchte der Frau helfen sich neu zu ordnen, ihre geplatzten Träume und ihre Hoffnungen. Er antwortet:

“… die Stunde kommt, ja sie ist schon gekommen, da wird der Heilige Geist, der Gottes Wahrheit enthüllt, Menschen befähigen, den Vater an jedem Ort anzubeten. Gott ist ganz anders als diese Welt, er ist machtvoller Geist, und alle, die ihn anbeten wollen, müssen vom Geist der Wahrheit erfüllt sein.
(Johannes 4,23–24 nach der Gute Nachricht Bibel 2018)

Jesus holt die Frau aus der Wir-Ihr-Schubladisierung heraus. Es geht nicht um wir, die Samariter und ihr, die Juden oder wir die Juden und ihr, die Samariter. Es geht auch nicht um den da und die da, die so anders sind wie ich. Es geht nicht um Cliquen und Klischees oder andere Abgrenzungen. 

Jesus macht der Frau deutlich, dass sie so, wie sie ist und wo sie ist, Gott anbeten kann. Sie darf Gemeinschaft mit einem echten Vater haben, Gemeinschaft mit dem, der das Vatersein erfunden hat. 

Sie hatte schon davon gehört, aber es immer weiter in die Zukunft geschoben. Irgendwann würde das möglich sein. Gemeinschaft mit Gott und Heilung aller Wunden. Irgendwann wird auch für mich Advent. Irgendwann, aber wann das sein wird? Wer weiß das schon; und ob ich das noch erleben darf? Deswegen antwortet sie Jesus:

»Ich weiß, dass der Messias kommen wird, der versprochene Retter. Wenn er kommt, wird er uns alles sagen.« * Jesus antwortete: »Er spricht mit dir; ich bin es.«
(Johannes 4,25–26 nach der Gute Nachricht Bibel 2018)

Genau jetzt kommt Jesus auf den Punkt und wird von seinen Jüngern unterbrochen. Die Frau verschwindet. Fast scheint es so, als ob schon wieder alles kaputt ist. Aber so ist es nicht. 

Die Frau verschwindet ins Städtchen und erzählt den Leuten aufgeregt von dem, was sie erlebt und gehört hat. Ihre Gedanken drehen sich in Kopf und Herz. 

Kann es sein, dass Jesus der Messias, der Retter, der Heiland, der Heilmacher ist?  Kann es sein, dass er etwas geben kann, das meine Gaben zur Vollendung und meine Lücken, Brüche und Verletzungen heilen kann? Kann es sein, dass er die Gemeinschaft bieten kann, die ich von keinem Menschen erwarten kann?

In der Ehe hat sie das alles nicht gefunden, ist gescheitert, wurde gescheitert. In der Gesellschaft findet sie kein Zuhause, erlebt weder Hilfe noch Verständnis. Doch auf diesem Weg ins Städtchen, wo sich alles wie schwindelig in ihr dreht, wird sie verändert. Sie berichtet von allem, was Jesus ihr gesagt hat. Sie macht öffentlich, was die Leute ja sowieso schon von ihr wissen. Jesus hat ihr erlaubt, dazu zu stehen und sich doch davon wegzubewegen. Sie ist nicht verdammt, so zu bleiben wozu sie gemacht wurde. 

Jesus lädt uns ein bei ihm zu finden, was uns sonst niemand geben kann. Echte Gemeinschaft, Zuneigung, ein offenes Ohr. Er schickt uns nicht weg. Das merkt die Frau und lädt die Leute im Städtchen ein:

Kommt und seht den Menschen, der mir alles gesagt hat!

Die Frau teilt ihr Erleben mit Jesus anderen mit. Ihr leeres Herz ist voll und mehr als das. Es fließt über. Jesus dient mir und kennt mich, erkennt mich an. Die Menschen im Städtchen werden neugierig und gehen zum Brunnen. Sie beginnen zu hören und werden immer neugieriger. Sie werden von Jesus berührt und lassen ihn nicht los. Sie finden neue Gemeinschaft. 

Da kamen noch viel mehr von ihnen zum Glauben aufgrund seiner Worte. * Sie erklärten der Frau: »Jetzt glauben wir nicht länger wegen deiner Erzählung, sondern weil wir ihn selbst gehört haben. Wir wissen jetzt, dass er wirklich der Retter der Welt ist.«
(Johannes 4,41–42 nach der Gute Nachricht Bibel 2018)

Da kommt der Geist des Vaters auf die zerstrittenen Geschwister, Juden und Samariter damals. Die ausgegrenzte Frau findet sich plötzlich in der Gemeinschaft wieder. Aber sie hat viel mehr erlebt; Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn, mit Gott und Jesus, der Geist Gottes in ihrem Leben.

In welche Situation kommt Jesus heute zu uns? Welche Gaben können wir ihm bringen, die er füllen darf? Welche Lücken und Brüche sollten wir mal endlich zu ihm bringen, damit er sie heilen kann? In welche Tiefe der Gemeinschaft mit ihm will er uns noch führen? 

Das ist Advent und das ist Weihnacht! Gestillte Sehnsucht.