Kleine und große Erwartungen (Lukas 19,1-10)

Predigtmanuskript

Heute am 3. Advent geht es um kleine und große Erwartungen.

Welche Erwartungen habt Ihr eigentlich an Advent und Weihnachten? Manche fürchten sie, andere freuen sich drauf. Viele wünschen sich die Erfüllung ihrer Erwartungen. Manche pochen sogar darauf. Andere fliehen davor. Wieder anderen ist die Überraschung an sich wichtiger, als die Erwartungen, die sie selbst haben oder an sie herangetragen werden. 

Im Laufe des Lebens ändern sich unsere Erwartungen wahrscheinlich auch. Kinder können das Fest vielleicht am besten zelebrieren. Sie malen sich in allen Farben aus, was sie geschenkt bekommen und wie es sein wird. Der Wunschzettel ist geschrieben oder verbalisiert. Ein Gedicht lernen oder ein Bild für Mama&Papa malen. 

Ich fand solche Erwartungen früher immer total schlimm. Ging es nicht um Geschenke? Hätte ich nicht ein Recht darauf beschenkt zu werden? Viel, viel wichtiger ist mir heute jedoch die Stimmung an Weihnachten. Kann sein, dass ich nicht das bekomme, was ich kommuniziert habe, das ich doch so gerne hätte. Aber das feierliche Miteinander der Familie gleicht das nicht nur aus. Es ist einfach das, worüber ich mich am meisten freue und für mich das allergrößte Geschenk. 

Weihnachten als Familienfest, Weihnachten als Geschenkefest. Viele andere verbinden nichts oder nur wenig Positives damit:

Weihnachten - das kann ich mir schenken.  wäre ihr Kommentar.

Weihnachten - das lass ich mir schenken.”, kommt aber wohl der ursprünglichen Idee näher. 

Als Gott die Idee hatte, Weihnachten zu erfinden, war er auch voller Erwartungen. Er schürte sie sogar lange vorher schon. Als es dann soweit war, fanden sich überglückliche Menschen zusammen an einem Ort und am anderen enttäuschte. Wieder andere verpassten das Fest vollständig. Sie hatten die Gelegenheit zu feiern nicht einmal bemerkt. Im Grunde genommen ist es wie heute. Daran hat sich nichts geändert. 

Deswegen geht es heute um Erwartungen, unsere, aber auch Gottes. Lassen wir uns mal überraschen. Denn in vielen Berichten aus der Bibel geht es genau darum, um große und kleine missverstandene Erwartungen. Eine Geschichte spielte lange nach der Geburt von Jesus. Jesus war auf dem Weg nach Jerusalem. Die Menschen hatten von ihm gehört oder sogar beobachtet, vielleicht selbst mit ihm gesprochen oder ihm zugehört oder hatten etwas Besonderes mit ihm erlebt. Hören wir doch mal, was uns Lukas berichtet. 

Jesus zog mit seinen Jüngern durch Jericho. 2 Dort lebte ein sehr reicher Mann namens Zachäus, der oberste Zolleinnehmer. 3 Zachäus wollte Jesus unbedingt sehen; aber er war sehr klein, und die Menschenmenge machte ihm keinen Platz. 4 Da rannte er ein Stück voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, der am Weg stand. Von hier aus hoffte er, einen Blick auf Jesus werfen zu können. 5 Als Jesus dort vorbeikam, schaute er hinauf und rief: »Zachäus, komm schnell herunter! Ich soll heute dein Gast sein!« 6 Eilig stieg Zachäus vom Baum herunter und nahm Jesus voller Freude mit in sein Haus. 7 Als die Leute das sahen, empörten sie sich über Jesus: »Wie kann er das nur tun? Er lädt sich bei einem Gauner und Betrüger ein!« 8 Zachäus aber wandte sich an Jesus und sagte: »Herr, ich werde die Hälfte meines Vermögens an die Armen verteilen, und wem ich am Zoll zu viel abgenommen habe, dem gebe ich es vierfach zurück.« 9 Da entgegnete ihm Jesus: »Heute hat Gott dir und allen, die in deinem Haus leben, Rettung gebracht. Denn auch du bist ein Nachkomme von Abraham. 10 Der Menschensohn ist gekommen, Verlorene zu suchen und zu retten.«

(Lukas 19,1–10 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle) 

Da haben wir also diese Geschichte mit Zachäus und seinen Erwartungen und den Erwartungen, die Jesus an ihn stellt. Letztendlich geht es auch um unsere Erwartungen an Jesus und die, die Jesus an uns hat. Ist Dein Bild von Deinem Mitmenschen unverrückbar? Und das von Jesus, von Advent und Weihnachten? Kann es sein, dass unser: “So muss es sein, so und nicht anders!” wirklich so unverrückbar ist? Bin ich bereit an meinen Erwartungen zu arbeiten und mich den Erwartungen von Jesus an mich zu stellen? 

Fangen wir doch mal bei uns an.

So muss es sein - unsere Erwartungen

Zachäus setzt sich erstmal nicht sichtbar unter den Weihnachtsbaum, auch nicht um den Adventskranz. Er versteckt sich hinter der Deko und klettert auf einen Maulbeerfeigenbaum. Von dort hatte er einen sicheren, geschützten Blick auf Jesus. 

Was war das aber für ein Baum? Er wurde ziemlich groß und trug Früchte. Sie sehen aus wie Feigen, schmecken aber nicht besonders, wie ich mir habe sagen lassen. Zachäus klettert auf jeden Fall auf diesen Baum, sozusagen in ihn hinein. Da sitzt also dieses Menschlein Zachäus, dieser kleine Zöllner, zwischen Blättern und Zweigen wie eine falsche Feigenfrucht. Für die meisten, die ihn kannten, war er solch eine bittere Frucht. Erstmal war er äußerlich klein von Gestalt. Dann hatte er auch ein kleines, enges Herz. Als Zöllner nahm er nicht nur die steuerlichen Abgaben. Er nahm sich auch das Recht etwas draufzuschlagen, und das nicht selten. Ein kleines bitteres und vielleicht auch verbittertes Früchtchen also.

Sehen, aber nicht gesehen werden. Im buschigen Baum sitzen, einen guten Überblick behalten, sich selbst aber nicht einmischen, die Dinge und Personen nicht zu nah an sich heranlassen. Beides, Religion wie auch religiöse Skepsis verhalten sich so. Kennst Du das?

Wir wissen nicht, wie Zachäus so geworden war, was ihn zu dem gemacht hat, der er war und als der er wahrgenommen wurde? Alles Spekulation und Stammtischpsychologie. Als Zollunternehmer steigt man auf jeden Fall nicht einfach aus bloßer Neugierde auf einen Baum. Da kann man auch andere vorschicken.

Das entscheidende, was uns Lukas verrät, ist folgendes. “Er wollte Jesus sehen.” Das wollte Zachäus ganz sicher. Denn das steht zweimal hintereinander im Text. “Wer ist das wohl?” Das war der Zweck der Aktion: Jesus sehen. Da war in Zachäus, der bitteren und verbitterten Feige, ein unstillbares Interesse an diesem Jesus gewachsen. 

Seine konkreten Erwartungen an Jesus bleiben unklar, mal wieder. Klar ist aber: “Ich will Jesus sehen.” Das ist genau dasselbe, wovon bei der Geburt von Jesus die Engel zu den Hirten sagten: “Siehe, ich verkündige euch große Freude!” und dann die Hirten zueinander: “Lasst uns nun nach Bethlehem gehen und sehen, was da geschehen ist. 

Es ging um Jesus, um nichts anderes. Keine Taten, keine Wunder, Jesus selbst. Nur einen Blick. Das war die Erwartung von Zachäus. Was ist unsere Erwartung an Advent und Weihnachten? Zachäus lädt uns ein auf unseren Maulbeerfeigenbaum zu steigen und Jesus sehen zu wollen. Lassen wir uns von den anderen weder ablenken noch abhalten, von unseren Wünschen, Vorstellungen, wie Weihnachten sein muss. Es ist diesmal wieder so anders, als früher. Jesus ist aber derselbe. 

Schauen wir auf ihn. Was will er von uns?

So muss es sein - Gottes Erwartungen - die Erwartungen von Jesus

Ich finde es total überraschend. Jesus lädt sich einfach zu Zachäus ein. Er will bei ihm sein. Er will bei uns sein. Zachäus hatte das sicher nicht erwartet, möglicherweise auch nicht gewollt. Jesus mit Abstand hätte ihm erstmal gereicht. Zachäus reicht Jesus ja noch nicht einmal den kleinen Finger. Jesus nimmt auch nicht einfach seine ganze Hand. Jesus will einfach ganz bei ihm sein, Zeit mit ihm verbringen. Das ist genau das, was er auch mir uns will. Er will einfach bei uns sein, neben uns zu uns nach Hause gehen. 

Jesus ist dabei unverschämt. Er wartet nicht auf die Einladung. Er erwartet das nicht. Er übernimmt die Initiative.

Jetzt kommt aber noch etwas extrem Wichtiges. Jesus fordert Zachäus nicht auf sich zu ändern. Er will nur bei ihm sein, bei ihm zuhause. Genau das ist der Skandal. Genau das bringt die anderen am Wege Stehenden auf die Palme. Sie kommen nicht runter zu Jesus. Sie kommen nicht mit zu Zachäus. Sie entfernen sich von ihm. Zachäus gehört nicht dazu, weil er zu viel Dreck am Stecken hat. Jesus darf sich nicht schmutzig machen. Er darf nur in meine saubere Wohnung kommen, nicht aber in die dreckige oder so ganz andere meines Nachbarn. 

Jesus ist aber bereit sich schmutzig zu machen. Das macht er am Schluss sehr deutlich. Er will Verlorenes retten, wiederfinden. Das ist auch das große Thema von Lukas in seinem Jesusbericht. Er spricht von der verlorenen und wiedergefundenen Münze, vom Schaf, vom Sohn und vom Sünder Zachäus. 

Aber jetzt ist er erstmal bei Zachäus und isst mit ihm, nimmt sich Zeit. Jesus hat einen gefunden, der plötzlich merkt, dass er verloren war. Jesus spricht hier garnicht von Sünde. Er spricht davon, dass jemand verloren war, und dass er ihn gefunden hat. Er hat ihn runtergeholt aus seiner selbsterarbeiteten Sicherheit. Er hat sich eingeladen in seinen Schutzraum. 

So muss es sein - Erwartungen, die verändern 

Genau diese Erwartung von Jesus bei ihm sein zu dürfen verändern Zachäus. Er bleibt nicht, wie er war. Sein Herz wird weich. In der Liebe, in der Jesus zu ihm kommt, sieht er seine eigene zerbrochene. Alles Bittere und Verbitterte löst sich auf in der Gegenwart von Jesus. Zachäus wollte sich immer groß machen; fand sich immer zu klein, war ja wirklich klein von Gestalt. Doch Jesus lädt ihn ein herunterzukommen von seinem selbstgewählten Baum. Jesus mag kleine Leute. Er geht auch den bitteren nicht aus dem Weg. 

Vor Jesus muss man sich nicht verstecken. Erstmal sieht er sowieso jeden, wie er ist. Aber noch viel mehr liebt er jeden von uns so, wie wir sind. Es ist genau diese Liebe, die Zachäus runterkommen lässt. Runter vom Maulbeerfeigenbaum, aber auch runter von seinem Stolz, runter von seiner Furcht zu kurz zu kommen. So sieht Zachäus die Menschen, die er selbst zu kurz kommen ließ, denen er nicht nur die fairen Steuern genommen hat, sondern einen ganzen Packen mehr. Diesen Packen und noch drei dazu gibt er nun zurück. Die Liebe Gottes durchdringt ihn. Sie macht ihn frei zu geben, was er meinte festhalten zu müssen. Seine verkrampft geschlossenen Fäuste lockern sich und verwandeln sich in offene, gebende Hände. Das ist Weihnachten. Zachäus wird freigiebig. 

Dabei hatte Jesus nur erwartet, bei ihm eingeladen zu werden. Der Platz für Jesus hat dann aber Platz für andere gemacht. 

Wie ist das mit unseren Erwartungen an Jesus? Wir begegnen wir den Erwartungen, die Jesus an uns stellt? Wollen wir es mal versuchen etwas mehr Nähe zu wagen und auf die Einladung von Jesus einzugehen ihn einzuladen, Zeit mit ihm zu verbringen? Nimm Dir doch Zeit mit ihm zu reden, und dann mal ganz still zu sein und ihn anzuschauen, Jesus, ihn selbst, nicht was er tun sollte, sondern ihn als Person.

Genau dann ist Jesus bei uns angekommen. Dann ist Advent. Dann wird wirklich Weihnachten.