Mit Enttäuschungen umgehen lernen (Apostelgeschichte 1,15-26)

Fragen über Fragen

Diese Begebenheit, die uns Lukas hier kurz zusammenfasst, wirft mich spontan zuerst einmal um. Da sind die drastischen Worte über den Tod von Judas und dann das scheinbare Glücksspiel um seinen Nachfolger. Da vermischen sich auf den ersten Blick Lieblosigkeit und Pietätlosigkeit in der Versammlung der jungen Christengemeinde. …und bei uns persönliche oder theologische Spekulation oder komische Gefühle. Doch gucken wir uns das doch mal an…

Fangen wir hinten beim Glücksspiel an. Die Gemeinde wirft das Los, die Münze. …und ich dachte immer, dass das Christen nicht machen sollen. Wir sollen doch Gott vertrauen, oder?

Und dann war da noch diese etwas sehr bildhafte Beschreibung von Judas Selbstmord. Davon ist auch an anderer Stelle berichtet, aber doch etwas zurückhaltender. Muss das wirklich sein?

Als ob das nicht genug ist, pocht die Gemeinde darauf, Petrus insbesondere, dass die Zahl der Apostel wieder auf 12 erhöht werden muss. Haben sie immer noch nicht verstanden, dass es in erster Linie nicht um das Reich Israels, sondern um die Herrschaft Gottes und seinem Einfluss in unserem Leben geht?

…und vor allem: der Heilige Geist Gottes war ja noch gar nicht auf die Gemeinde gekommen. Hat Jesus nicht gesagt, dass sie darauf warten sollten?

Es scheint also, dass es sich um vier, voneinander getrennte Themen geht. Wahrscheinlich ist es auch so. Doch Lukas hat sich dabei was gedacht und es alles dicht in einen einzigen Bericht gepackt.

Worum geht es Lukas dann?

Es geht ihm ums praktische Leben im Vertrauen auf Gott, ums Festhalten dessen, was Jesus für uns getan hat mitten in Zeiten der Hoffnung, des Wartens und der tiefen Enttäuschung. Wie ging die junge, noch so unfertige Gemeinde damit um? Wie gehen wir heute damit um?

Da war Judas, die traurigste Gestalt, von der in der Bibel berichtet wird. Jesus hatte ihn, wie auch die anderen 11, aus einer größeren Zahl von Nachfolgern ausgewählt. Jesus hatte ihn, genauso, wie die anderen, ausgewählt, damit er bei ihm sein sollte und er ihn dann aussenden konnte, von Gottes liebender und machtvoller Herrschaft zu erzählen. Jesus wollte ihn bei sich haben.

Judas blieb innerlich aber immer etwas distanziert. Vielleicht ging es ihm mehr um Information, als um Beziehung, um gesellschaftliche Veränderung als persönliches Vertrauen und Hingabe. Wir können nicht in sein Herz schauen.

Was wir aber wissen ist, dass er nach drei Jahren, die er mit Jesus verbrachte, unzufrieden war und Jesus enttäuscht seinen Gegnern überlieferte und sich sogar dafür bezahlen ließ. Ob es ihm klar war, dass Jesus innerhalb von Stunden am Kreuz enden, verenden, würde, wissen wir auch nicht. Was wir aber wiederum wissen ist, dass er sein Verhalten, die Auslieferung und die Bezahlung, bitter bereute. Dieses Gefühl der Enttäuschung und des Versagens über sich selbst war so stark, dass er seinem Leben ein Ende setzte, bevor Jesus nur anderthalb Tage später vom Tod auferstehen würde.

Das ist so dramatisch, so bitter, so unendlich traurig. Hätte er doch seinen Schmerz ein bisschen länger ausgehalten! Nur ein bisschen…

Doch so ist es: wer von uns kann die Gefühle des anderen so nachvollziehen, so verstehen, so nachfühlen, wie er selbst?

Wie gehen wir mit Enttäuschung um, mit persönlichem Versagen und der anderer an uns?

Da waren ja auch die übriggebliebenen 11. Wie groß muss ihre Fassungslosigkeit, ihre Enttäuschung gegen-über Judas gewesen sein?! Wie gehen sie damit um?

Was wir hier im Bericht von Lukas merken ist, dass es sie nicht loslässt. Es ist nach über vierzig Tagen noch vor ihren Augen, als ob es gestern geschehen wäre. Nicht nur der Verrat ging tief. Der Selbstmord ihres ehemaligen Freundes traf sie mitten ins Herz: Gott, hilf uns! Zeig uns, was wir jetzt tun und denken sollen!

Und Gott zeigt es ihnen auf verschiedene Weise. Er spricht zu ihnen, weil sie ihm weiter vertrauen. Mitten im Warten, in dieser Zeit der gelben Ampel, im Rückblick und Ausblick, setzen sie ihr Vertrauen auf Gott.

Sie vertrauen seinem Wort an andere. Sie vertrauen Jesus, der vom Tod auferstanden ist. Sie vertrauen darauf, dass es für Gott keinen Zufall gibt. Sie entscheiden sich, dem Vater des Lebens zu vertrauen und lernen ihn so immer mehr kennen.

Sie lesen und forschen in der Bibel

Während sie das tun und auf den Heiligen Geist warten, der ja noch nicht auf sie selbst gekommen war, entdecken sie, dass Gott durch eben diesen seinen Geist schon in der Bibel zu anderen Menschen gesprochen hatte. So erinnern sie sich an die Worte von David, an seine Lieder im Buch der Psalmen und sein Leben mit allen Aufs-und-abs.

So werden sie auch daran erinnert, dass Gott keine leeren Häuser mag und auch keine unvollständige Gemeinde. Gott hat alle im Blick. Er will sein Volk ganz, nicht halb. Ihm reichen auch nicht Elf-Zwölftel. Gott gibt sich nicht mit 91,7 % zufrieden. Er will 100%.

Wenn Gottes Herrschaft auch über dem Reich Israels steht, so vergisst er sein Volk nicht, das er auserwählt hat. Er vergisst es nicht, weil er es liebt und nicht, weil es so perfekt, groß und stark wäre. Er liebt es! So lesen wir es im Gesetz, das er Mose vor langer Zeit gegeben hatte (5Mo 4/5).

Mitten im Versagen seines Volkes stellt er sich immer wieder zu ihm. Er schimpft, aber liebt. Er verzweifelt nicht, sondern hebt es immer wieder auf.

Judas wollte sich darauf irgendwie nicht einlassen. Gottes Macht meinte er zu verstehen. Seine Liebe und Treue wollte er nicht annehmen.

Jetzt waren es nur noch 11 Vertreter seines Volkes, das doch aus 12 Familien bestand. Das geht so nicht, sagt David. So versteht es die wartende Gemeinde. Gott hat keine Familie aus den Augen verloren, weder die seines

Volkes, noch unsere.

Das erste, was wir also lernen ist: verlieren wir Gott und seine Entscheidung für uns nicht aus den Augen, wenn wir enttäuscht werden oder selbst versagen.

Die wartende Gemeinde wirft ihren Blick also auf das Wort des lebendigen Gottes und merken worauf es ankommt:

Jesus ist auferstanden!

Neben dem Wirken des Heiligen Geistes Gottes in seiner jungen Gemeinde und in der Welt, ist genau das das große Thema von Lukas in seiner Apostel-geschichte. Jesus ist auferstanden! Ostern regiert die Gemeinde. Ostern regiert die Welt: Jesus lebt. Er hat den Tod besiegt, er steht seinen Nachfolgern damals wie heute bei durch seinen Geist. Der lebendige Gott selbst kommt zu jedem von uns und bleibt bei jedem, der oder die sich ihm anvertraut, die auf Jesus, den Auferstandenen schaut. Jesus ist Sieger!

Das ist auch der Grund, warum der zwölfte nachgewählte Apostel das alles selbst miterlebt haben musste. Er musste von Anfang bis zum Ende mit den ursprünglichen 12 Apostel mitgegangen sein, weil er bei Jesus sein wollte. Es musste so auch jemand sein, der nicht immer vorne stehen wollte. Er wendete sich eben nicht enttäuscht von Jesus ab, als er ihn – und andere übrigens auch – nicht in seinen engsten Kreis rief. Es musste jemand sein, der zu Jesus stand und nicht zu seinem Ego.

Genau so, mit dieser Haltung, wurde er Zeuge der Auferstehung. Nur so konnte er mit eigenen Augen bezeugen, dass Jesus wirklich lebt, dass Jesus Sieger ist über Tod und Versagen und Enttäuschung.

Das ist auch das zweite, das Lukas uns vor Augen malt: Jesus ist Sieger! Jesus ist auferstanden! Schau aufs Kreuz und dann ins leere Grab, und dann begegne Jesus! Dieser Jesus will uns verändern. Nur dieser Jesus kann uns verändern, uns heilen. Zum heilenden und versöhnenden Glauben gehört der Blick auf den auferstandenen Jesus.

In diesem Glauben: im Vertrauen auf Gottes Wort, auf sein Reden in der Bibel, und im Blick auf die Aufersteh-ung wagt die Gemeinde eine Entscheidung zu fällen.

Sie vertraut nicht dem eigenen Urteil, sondern Gottes.

Sie delegieren sozusagen ihre Entscheidungsschwäche an Gott ab. Das ist keine Flucht vor Verantwortung. Das ist das Wissen um die eigene Fehlbarkeit. Deswegen geht es ihnen auch nicht um einen fehlerlosen Nachfolger für Judas, sondern einen, der weiß, wo er mit seinem Versagen hin kann.

Alle waren sie doch weggelaufen, als Jesus gefangen genommen wurde. Petrus hatte Jesus sogar verleugnet. Ihnen war allen klar, dass sie nicht besser waren, als Judas. Sie hatten ihm nur eines voraus. Sie warteten in ihrer Trauer und in ihrem Selbstzweifel auf Gott. Wenn es auch eine Schockstarre war, eine blutrote Ampel, vor der sie standen. Wenn sie Gott auch nicht verstanden hatten, dann doch jetzt. Vorher und nachher warteten sie auf seine Entscheidung.

Deswegen werfen sie schließlich das Los, oder salopp gesagt, die Münze. Dazu fanden sie auch wieder Beispiele in der Geschichte Gottes mit ihrem Volk Israel. In der Bibel lasen sie davon. Gott sagte zum einen immer wieder: vertraue nicht deinem eigenen Willen und Ego, sondern mir. Das ist die besondere Anweisung für Priester, galt aber dem ganze Volk.

Zum anderen sehen wir Menschen, die es nicht fassen können, dass Gott sie auserwählt hat etwas Besonderes für ihn zu tun. Sie vertrauen nicht sich selbst. Ihr Ego wankt sogar. Doch dann fassen sie Mut und legen Gott ihre Zweifel vor und lassen ihn entscheiden. Da sehen wir Abraham, Mose, Gideon und andere.

Doch wie immer wir Entscheidungen treffen, ob wir ein Los werfen oder nicht. Immer wollen wir es im Vertrauen auf Gott tun, im Schauen auf den auferstandenen Jesus.

Für vieles kann ich also ein Los werfen. Für eine Entscheidung nicht. Es ist die Entscheidung für Jesus. Die Entscheidung auf ihn zu schauen und nicht auf unseren Erfolg oder Versagen. Da gilt nicht Kopf oder Zahl, sondern, dass wir uns ihm anvertrauen. Das ist eine ehrliche Einladung.

 Amen!