Neue Perspektiven… – Wer bin ich?

Predigtmanuskript

Neue Perspektiven ... - Wer bin ich?

In den nächsten Sonntagen soll es um Neue Perspektiven gehen. Wer bin ich? Wer ist der andere? Wer sind wir als Gemeinschaft?  Was ist mein Gottesbild, mein Bild von Jesus? … und so weiter …

Im Jakobusbrief  - so gegen Ende der Bibel - geht es genau darum. Da geht es um die ganz praktische, handfeste Beziehung zu Gott und aus dieser Beziehung zu ihm auch die Beziehung zu unseren Mitmenschen.

Und immer wieder geht es um die Fragen: “Wer bin ich?” und: “Wer ist Gott?” und: “Wer ist der und die andere neben mir?” Jakobus fängt in seinem Brief mit sich selbst an.

Jakobus, Diener Gottes und des Herrn Jesus Christus. An das Volk Gottes, das wie die zwölf Stämme Israels über die ganze Welt verstreut lebt. Ich grüße euch.

(Jakobus 1,1 nach der Bibelübersetzung BasisBibel)

Jakobus, wer ist das? Wer bin ich?

Jakobus wächst zusammen mit Jesus auf - in derselben Familie.

Als Evangelische  sind wir der Meinung, er ist einer, der jüngeren Brüder von Jesus, Josefs und Marias gemeinsamer Sohn. Unsere katholischen und orthodoxen Freunde sind da anderer Meinung. Demnach hat der verwitwete Josef seine Kinder mit in die neue Ehe mit Maria gebracht. Oder Jakobus war einfach ein Cousin von Jesus. Sohn einer anderen Maria.

Übrigens war das den Reformatoren vor 500 Jahren total unwichtig. Unser Glaube dreht sich ja um Jesus und nicht um Jakobus. Genau das ist auch der Punkt, auf den es Jakobus ankommt.

Er hatte nämlich auch ein Problem mit Jesus gehabt. Er kannte ihn zu gut. War ja mit ihm aufgewachsen als kleiner Bruder oder als älterer Stiefbruder oder Cousin. Die ganze Dynamik der Geschwister, ihre Stellung in der Familie, ihre Selbtswahrnehmnung und gegenseitigen Wahrnehmung der Brüder und Schwestern untereinander - all das formt sein Bild von Jesus. Selbst Maria muss sich mit den Jahren und Jahrzehnten erst so richtig über ihren Sohn Jesus klar werden.

Da gibt es die Begebenheit, wo Maria, Jakobus und die anderen Geschwister Jesus vor sich selbst retten wollen. Sie denken, er sei übergeschnappt. Der viele Zuspruch würde ihm schaden. Sie haben eben ihre ganz menschlichen Erfahrungen mit Jesus gemacht.

Und genau das war ihr Problem. Sie schafften es nicht, in dem Menschen Jesus, den Messias, den Gesandten Gottes, den Christus, zu sehen. Sie beurteilten ihn mit menschlichen Maßstäben. Sie meinten, sie wären zu nah dran an ihm und waren doch so weit weg.

Vielleicht geht es uns mit unseren Mitchristen manchmal genauso. Er oder sie ist zu nah an uns dran. Wir kennen ihn oder sie doch. Haben unsere Erfahrungen gemacht. Anhand dieser Erfahrungen meinen wir dann auch andere abschätzen zu können. Das ist noch nicht einmal abschätzig gemeint. Das ist einfach eine ganz normale Dynamik im Miteinander. Und da kann keiner sagen, er würde niemand in ein vorgefertigtes Muster stecken. Wir Menschen funktionieren eben so.

Der eine oder andere unter Euch nickt vielleicht mit dem Kopf. Andere wehren sich vielleicht gegen diese Idee und runzeln mit der Stirn. Aber es ist eine Illusion zu denken, wir könnten neutral und frei einander begegnen.

Jakobus war da nicht anders, Maria auch nicht, und die anderen Geschwister genauso wenig. Josef - ja Josef - der war bestimmt anders. Oder doch nicht? Wissen wir nicht.

Auf jeden Fall wird die ganze Familie um Jesus nach seiner Auferstehung umgewandelt. Ihr Bild von Jesus als Sohn und Jesus als Bruder bekam einen neuen Stellenwert. Ihre Perspektive auf Jesus wurde total umgewandelt.

Ihr enger, versteinerter, festgeformter Blick wurde in einen neuen, weiten Horizont umgeformt.

Jesus wurde ihr Herr. Sie reihen sich ein in die neue Gemeinschaft der Jesusnachfolger. Dort nennen sich alle Diener. So lesen wir es in der Apostelgeschichte, dem Bericht über die erste Christengemeinde. Sie fühlten sich dadurch nicht gedemütigt.

Diener von Jesus, Diener von Gott zu sein, ist eine Ehre, ein Privileg.

Die alten Väter ihres Volkes, Abraham, Mose und die anderen großen Vorbilder, waren alle stolze Träger dieses Titels. Jesus selbst versteht sich ja auch als Diener. Jesus selbst ist als Herr seiner Nachfolger doch gleichzeitig ihr Diener, unser Diener. Und so werden die ersten Christen füreinander Diener. Der eine für die andere. Die eine für den anderen.

Das Selbstverständnis von Jakobus war das eines Dieners. Damit beginnt er seinen Brief. Das machen übrigens auch andere Briefeschreiber im Neuen Testament. Aber Jakobus verändert die Satzstellung ein wenig und macht etwas Wichtiges ganz deutlich.

Er ist Gottes und des Herrn Jesus Christus Diener. Er untersteht niemand anderem. Da steht wörtlich: “Jakobus, Gottes und des Herrn Jesus Christus Knecht.” Es ist nicht das Dienersein, was ihn prägt, sondern sein Herr.

Wie unser Bild vom Dienersein vom jeweiligen Vorgesetzen geprägt wird. So ist es auch bei Jakobus. Sein Vorgesetzter ist Gott, ist Jesus Christus. Sein Vorgesetzter ist der, der sein Leben für ihn geopfert hat. Sein Vorgesetzter ist der, der die Schuld seines Dieners erlassen und getragen hat. Und er nutzt diese Stellung nicht aus. Er kommt auch nicht mit der moralischen Keule und sagt weinerlich: “Sieh doch mal, was ich alles für dich erlitten habe. Jetzt musst du mir aber schon gehorchen.

Jakobus sieht das ganz anders. Er hat Jesus, den Gekreuzigten gesehen, Jesus den Auferstandenen. Jakobus ist von Dankbarkeit erfüllt. Er braucht keinen mitleidigen Schubser. Da muss keiner kommen und ihm ein schlechtes Gewissen machen.

Jesus ist sein Herr, der Herr der es gut meint und gut macht und Gutes für ihn will. Das will er auch für andere. Seine ganze Seele gehört jetzt Jesus und mit Jesus Gott - sein ganzes Leben.

Jakobus wehrt sich gegen jeden Interessenkonflikt zwischen seinen persönlichen Erfahrungen und Gottes Willen.

Das macht er in seinem ganzen Brief klar. Er will sich an Gottes Willen orientieren, und dieser Wille Gottes wird durch Jesus deutlich.

Weil das so ist, und das auch die anderen Christen in der Gemeinde in Jerusalem merken, wird Jakobus auch eine der tragenden Säulen der Jesusgemeinschaft. Er wird das nicht, weil er mit Jesus aufgewachsen ist. Er wird es, weil die Menschen sehen, dass Jesus durch seinen Glauben in ihm Gestalt gewinnt. Jakobus unterstellt sich dem Willen Gottes und lässt sich von Jesus dienen. So wird Jesus sein Herr und so bekommt er einen scharfen Blick auf die Lebenswirklichkeit seiner Mitchristen.

Wer sind diese Christen? Wer sind wir?

Jakobus schreibt an die Zerstreuten. Er denkt dabei in erster Linie nicht an unkonzentrierte Menschen. Aber wie wir später noch in seinem Brief sehen werden, lernen wir einige ziemlich zerstreute, unkonzentrierte Christen kennen. Sie verwechseln immer wieder ihre Vorstellungen mit dem Willen Gottes. Ihr Horizont ist verschwommen, ihre Perspektive eingeschränkt.

Im Augenblick geht es Jakobus aber um den jüdischen Fachbegriff der Zertreuten, dem Volk Gottes in der Zerstreuung. Das bezieht sich auf die Juden, die im achten und dann im sechsten Jahhundert vor Christus aus ihrer alten Heimat in die Verbannung geführt wurden. Andere waren geflohen. Jerusalem, die Sadt des Volkes Gottes, war zerstört. Im fünften Jahrhundert vor Christus wurde sie dann wieder aufgebaut. Das änderte aber nichts daran, dass die allermeisten Juden in alle Winde zerstreut waren. Zur Zeit von Jesus fand man sie im heutigen Iran und in Spanien, in Ägypten und Tunesien, in Griechenland, der Türkei und Italien und weit darüber hinaus.

An all diesen Orten fanden sie sich zusammen und fühlten sich wie Salzkörner zerstreut über die ganze Erde.

Jakobus schreibt nun besonders den Juden, die Christen geworden waren. Er scheint sich mit ihren Verhältnissen auszukennen. Er hatte Kontakt mit denen, die weit weg lebten in anderen Verhältnissen. Denn einige, der Fälle, die er in seinem Brief beschreibt, fand man in Palästina und rund um Jerusalem gar nicht.

Jakobus war informiert. Er interessierte sich für die Menschen und schaute über seinen Tellerrand. Er hatte seine Perspektive geändert und einen weiten Horizont bekommen. Sein Blick wurde wieder scharf. Er lernte wieder neu sehen.

Jakobus beschreibt aber auch ein Wesensmerkmal von uns Christen. Wir gehören eben nicht ganz zur unserer Mehrheitsgesellschaft. Aber wir sind alle, jeder einzelne, in ein bestimmtes Umfeld hineingestreut.

Jakobus will jetzt helfen, sich nicht an den Werten der Mehrheitsgesellschaft zu orientieren, sondern am Willen Gottes. Er will uns im Glauben an den Herrn Jesus helfen eine neue Perspektive einzunehmen. Er öffnet uns einen weiten Horizont, wo Platz für den anderen ist. Er führt uns aus der festgemeißelten Enge unserer Gesellschaft. Er nimmt den Gruppendruck, der durch gute und schlechtgemeinte Medien auf uns liegt und uns umprägen will.

Wenn wir in seinem Brief weiterlesen, führt es aber nicht dazu, dass wir den Mitmenschen unserer Mehrheitsgesellschaft aus dem Blick verlieren. Genau im Gegenteil!

Jakobus lädt uns ein, eine neue Perspektive einzunehmen und Gottes Horizont zu sehen.

Wenn Jesus unser Herr ist, haben auch andere Menschen neben uns Platz. Wir lernen mit Jakobus, sie nicht mehr so zu sehen, wie sie auf den ersten Blick scheinen und auf den zweiten und dritten. Wir lernen sie als Menschen zu sehen, die denselben Herrn haben.

Es ist Gott. Es ist Jesus Christus, der Herr. An ihm orientieren wir uns. Seine Perspektive nehmen wir ein. Dann sehen wir auch den anderen in seiner Zerstreuung. Dann findet auch die andere uns in unserer Zerstreuung.

Jakobus lädt uns ein, uns auf Jesus zu konzentrieren, Jesus unserem neuen Herrn, Jesus, den Sohn Gottes. Denn bei niemand haben wir es so gut, wie bei ihm!

Helfen wir uns gegenseitig in diesem Wissen und Glauben. Dienen wir uns gegenseitig und lassen wir uns dienen.

Amen!