Predigtmanuskript
Neue Perspektiven ... - Was ist Gesetz?
Heute geht es weiter auf der Reise durch den Jakobusbrief - und zwar auf eine etwas steinige Strecke. Gerne hätte ich eine Umleitung genommen. Aber die war nicht ausgeschildert. Ich finde aber, dass es sich lohnt auf dem Weg zu bleiben.
Welches Bild würdet Ihr am ehesten wählen, wenn es darum geht die Einhaltung von Gesetzen zu beschreiben?
- Ein Drahtseil, das von einem hohen Gebäude zu einem anderen über den Marktplatz hinweg gespannt ist.
- Zwei Personen, die sich gegenüberstehen und entweder die Hände verschränken oder sie einander reichen.
Bei der Drahtseilversion ist es so, dass man peinlich genau aufpassen muss, den Fuß für jeden einzelnen Schritt absolut richtig zu setzen. Sonst stürzt man ab. Gleichgewicht ist da unverzichtbar und Höhenangst gefährlich.
Das Beispiel zeigt, dass man schon gut trainiert sein muss, damit das klappt, und einen festen Blick aufs Ziel. Manche schaffen es ja noch nicht einmal genau auf einer auf dem Boden gezogenen Linie zu laufen.
Wenn ich das Halten von Gesetzen so sehe, brauche ich also eine perfekte Kenntnis, Übung darin und ständige Konzentration.
Der Vorteil ist, dass man sich dann um nichts anderes mehr kümmern muss. Bis dahin aber, lebt man in der ständigen Gefahr, einen Fehltritt zu machen.
Viele Menschen leben so. Die einen selbstsicher, die anderen mehr oder weniger angespannt.
Ich behaupte einfach mal, dass der zweite Vergleich mit den sich gegenüber stehenden Personen für die meisten so ganz spontan sympathischer ist. Er scheint flexibler, menschlicher und Beziehungsorientiert eben.
Übrigens ist es auch so, dass in vielen Ländern eher auf solch persönliche Weise Recht gesprochen wird. Man hat den konkreten Menschen und die aktuelle Situation im Blick.
Praktisch sieht es dann übrigens so aus, dass man nur einen Fehler begangen hat, wenn er entdeckt wird. Im ungünstigsten Fall ist der dann schuldig, der ihn aufgedeckt hat und nicht der Übeltäter.
Man lebt also solange glücklich, wie die Harmonie der Beziehungen gewahrt bleibt. Wenn nichts an die Öffentlichkeit kommt, muss also auch kein Unrecht behandelt und Recht gesprochen werden.
Ich denke, dass sich jetzt jeder ausmalen kann, was im Verborgenen geschieht und in der Öffentlichkeit nicht gesagt werden darf. Glücklich ist damit auch nicht jeder.
Dem äußeren Anschein nach, gehen die zweiten jedoch in der Öffentlichkeit freundlicher miteinander um. Dafür weiß man nie so ganz genau, wo man dran ist bei seinem Gegenüber.
Beim ersten Beispiel hat man dagegen die Sicherheit auf das Wort zählen zu können. Dafür geht man etwas sachlicher und direkter miteinander um, zuweilen auch lieblos.
Natürlich gibt es die Reinform des einen oder anderen nicht. Das heißt aber auch nicht, dass wir davon frei sind. Denn der Seiltänzer lebt ja auch ein gut Teil von den staunenden Blicken und Rufen oder dem Applaus, wenn er es auf die andere Seite geschafft hat. Genauso die andere Person, die das Gegenüber anschaut, aber das eine und andere Mal doch schon gerne wüsste, was in ihm oder ihr wirklich vorgeht. Da wünscht man sich dann doch eine klare Leitlinie, zumindest einen Bindfaden auf dem Boden. OK - andere hätten lieber Leitplanken. Aber die bietet uns Jakobus nicht, übrigens auch nicht Jesus.
Jakobus stellt uns in seinem Brief also ganz bewusst genau in eine beachtliche Spannung. Er vermischt dabei die Beziehungsebene mit der Regelebene, stellt sich und sein Gegenüber vor das Gesetz. Da lesen wir folgendes:
“Nun, wenn ihr euch wirklich nach dem königlichen Gesetz richtet, wie es in der Schrift niedergelegt ist: »Liebe deine Mitmenschen wie dich selbst!«, dann handelt ihr gut und richtig.
9 Doch wenn ihr Rang und Ansehen eines Menschen zum Kriterium dafür macht, wie ihr mit ihm umgeht, begeht ihr eine Sünde und werdet vom Gesetz als Gesetzesübertreter überführt. 10 Und ihr wisst: Wer das ganze Gesetz befolgt, aber gegen ein einziges Gebot verstößt, macht sich damit am ganzen Gesetz mit allen seinen Geboten schuldig. 11 Denn derselbe, der gesagt hat: »Du sollst nicht die Ehe brechen!«, hat auch gesagt: »Du sollst keinen Mord begehen!« Bei jedem einzelnen Verstoß gegen ein Gebot verstößt du also gegen das Gesetz als Ganzes; du kannst einen Mord nicht damit aufwiegen, dass du keinen Ehebruch begehst.
12 Redet und handelt so, wie es dem Gesetz der Freiheit entspricht – dem Gesetz, nach dem ihr einmal gerichtet werdet. 13 Denn im Gericht gibt es kein Erbarmen mit dem, der selbst kein Erbarmen kannte. Doch wer barmherzig war, bei dem triumphiert die Barmherzigkeit über das Gericht: Er wird nicht verurteilt werden.”
(Jakobus 2,8–13 nach der Neuen Genfer Übersetzung der Bibel von 2013)
Diese Herausforderung ist schon ganz schön groß. Dabei suchen wir ja lieber den einfacheren Weg. Und zu wissen, dass Jesus unsere Sünden am Kreuz auf sich genommen und vergeben hat, ist ja die beste Nachricht, die es gibt. Genau das ist doch der Kern der Guten Nachricht. Aber lasst uns doch erstmal in die Frucht reinbeißen und die Schale nicht auslassen, bevor wir zum Kern kommen aus dem Neues wachsen kann.
Jakobus schreibt hier nämlich von einem königlichen Gesetz, einem unteilbaren Gesetz und einem Gesetz der Freiheit. Alle drei aber bilden ein einziges.
- Das königliche Gesetz ist die Einladung zu lieben.
- Das unteilbare Gesetz ist die Einladung Gottes Wort für voll und ganz ernst zu nehmen.
- Das Gesetz der Freiheit ist die Einladung sich von Bindungen lösen zu lassen.
Da ist das erste. Als Jesus anfängt zu predigen, hat er ein großes Thema:
Die Herrschaft Gottes, die von seiner Liebe lebt
Es ist Jesus als Herr, der Gottes Liebe widerspiegelt. Gott selbst begegnet so unserer Sicht von der Welt und hinterfragt dabei unsere Regeln und Werte. Jesus kommt und durchschaut die Menschen, die ihm begegnen. Da sind seine Nachfolger. Sie sind ganz nah bei ihm und diskutieren doch, wer der wichtigste unter ihnen ist. Da sind auch die Gegner von Jesus, die ihn mit tückischen Fragen reinlegen wollen. Für sie ist Jesus die Bedrohung ihres Selbstverständnisses.
Mittendrin wird er von verschiedenen Menschen gefragt und fragt ein anderes Mal auch selbst:
“Was ist das allerwichtigste Gebot?”
Die Antwort ist jedes Mal dieselbe:
“Gott lieben mit ungeteiltem Herzen und seinen Mitmenschen wie sich selbst.”
Das ist die Mitte des Gesetzes Gottes. Das ist das Zentrum der Herrschaft Gottes.
Das ist die Einladung an die Menschen damals und an uns hier und heute: Mach die Augen auf und entdecke die Liebe Gottes in der Bibel und dann in deinem Leben. Dann entdeckst Du auch Deinen von Gott geliebten Mitmenschen.
Doch genau das ist der Punkt, an dem wir immer wieder scheitern, auch die engsten Vertrauten von Jesus. Bei seinen offenen Gegnern war es nur deutlicher. Warum sollte es also bei uns anders sein?
Trotzdem bleibt es, glaube ich, der größte Wunsch der meisten Menschen: Eine Gesellschaft, die von Liebe geprägt ist, eine ganz neue Art seine Umwelt zu sehen und zu organisieren.
Genau darin besteht auch die Herrschaft Gottes. Das ist das königliche Gesetz, das Gesetz seiner Herrschaft, die er an Jesus bindet und niemand anders.
Darauf folgt das zweite:
Diese Herrschaft der Liebe ist nur vollständig zu haben.
Wir können uns nicht aussuchen, wann wir sie akzeptieren wollen und wann nicht. Wir können uns auch nicht das rauspicken, was uns sowieso am Ehesten liegt und leichtesten fällt.
Jakobus pickt zwei extreme Gebote heraus, die Jesus auch schon mal in den Mittelpunkt gestellt hatte.
“Nur ein falsch motivierter Blick auf eine Frau oder einen Mann macht Dich im Herzen zum Ehebrecher. - Nur ein böser Gedanke über Deinen Mitmenschen lässt Dich zum Mörder werden.”
Was sich so krass anhört zeigt einfach nur unsere Probleme, unseren Mitmenschen ganz frei und unvoreingenommen lieb zu haben. Das sind nur zwei Beispiele, um den ganzen Sachverhalt klar zu machen. Lies doch dazu mal die zehn Gebote und dann die Bergpredigt von Jesus.
Wir leben also wirklich in dieser Spannung von Drahtseil und Beziehungen. So scheint es zumindest. Wie kommen wir da raus?
In einem aktuellen Bibelkommentar dazu habe ich folgendes Zitat mit einer Lösung gefunden:
“Sünde kann nicht einfach gegen gute Taten ausbalanciert werden - sie muss bekannt und vergeben werden.” ¹
Wenn wir also gerade an der Spannung zwischen Drahtseil und Beziehungen leiden, vergisst Jakobus auch nicht den dritten, unverzichtbaren Punkt:
Die unteilbare Herrschaft der Liebe Gottes befreit Dich von Bindungen.
Wenn Du nämlich genau das vor Gott bringst, was Dich herausfordert und auch den Menschen, der Dich herausfordert … und wenn es Dein Mitmensch auch macht… Wenn wir das also bekennen und nicht aus Scham oder Arroganz verstecken. Wenn wir bereit sind uns befreien zu lassen, dann treten wir gemeinsam vor Gott als Richter und dürfen Barmherzigkeit erwarten.
Wenn ich meine Begrenzungen nicht für mich behalte, lerne ich selbst auch barmherzig zu werden. Deswegen ist es manchmal auch gut einander von seinen Begrenzungen zu erzählen. Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke. Das ist eine gesunde Art der Selbstkritik. Wenn ich nämlich Gott in meine Schwachheit lasse und meine Grenzen für ihn öffne, kommt er mit seiner Kraft zu mir hinein, zu Dir, zu uns hinein.
In einem anderen Bibelkommentar lesen wir folgendes:
“Wenn Gott uns in seiner Güte annimmt, beendet das nicht unsere Pflicht ihm zu gehorchen. Es stellt uns aber auf eine neue Stufe. Denn der Wille Gottes konfrontiert uns jetzt mit dem Gesetz der Freiheit - eine Pflicht, die uns mit Freude erfüllt, weil uns Gott sowohl vergeben als auch gestärkt hat durch seinen den Heiligen Geist.” ²
Wie komme ich also vom Drahtseil in heile Beziehungen?
Jakobus lädt uns ein, die Spannung, in der wir leben nicht zu verleugnen, sondern anzunehmen und nicht nur anzunehmen, sondern auch zu bekennen und vor Gott zu bringen. Denn er kann uns wirklich befreien, uns entspannen, uns zur Ruhe führen, zum Mitmenschen und Neues in uns wachsen lassen. Der Beweis ist seine Auferstehung.
Nehmen wir Jesus als Herrn an, wirklich als Herrn. Er selbst liebt uns als Mitmensch so wie niemand sonst. Das hat er am Kreuz gezeigt. In seiner Liebe lernen wir unsere Weltsicht mit seiner auszutauschen, unser Mitmenschenbild mit seinem, unser Selbstbild mit dem, das er von uns hat.
Haben wir Mut um Barmherzigkeit zu bitten und sie wirklich zu empfangen. Gott wird uns diese Bitte nicht ausschlagen.
Lass Dich also in das Netz fallen, das Jesus unter Dir aufspannt. Falle in seine barmherzigen Arme und lerne so barmherzig zu werden.
In Jesu Namen - Amen!
Quellenangaben:
(1) “Sin is not simply balanced against good—it must be confessed and forgiven.” zitiert bei: Craig L. Blomberg und Mariam J. Kamell, James, Bd. 16, Zondervan Exegetical Commentary on the New Testament (Grand Rapids, MI: Zondervan, 2008). auf Seite 119, Fußnote 95
(2) Bei Bloomberg/Kamell zitiert aus: Douglas J. Moo, The letter of James, The Pillar New Testament Commentary (Grand Rapids, MI; Leicester, England: Eerdmans; Apollos, 2000), 117.