Predigtmanuskript
“Ein Gebet von David.
Herr, höre meine Bitte, verhilf mir zu meinem Recht! Achte auf mein Schreien und nimm mein Gebet an, das ich ohne Falschheit und Lüge an dich richte. 2 Wenn du dein Urteil fällst, dann sprich mich frei; du siehst doch, dass ich unschuldig bin. 3 Du durchschaust alles, was in mir vorgeht, du durchforschst mich auch in der Nacht. Du prüfst mich, aber du findest nichts, was du tadeln müsstest. Ich habe mir vorgenommen, mich nicht einmal zu bösen Worten hinreißen zu lassen! 4 Dein Wort war mein einziger Maßstab – auch dann, wenn andere nicht danach lebten. Von gewalttätigen Menschen hielt ich mich fern. 5 Bei jedem Schritt habe ich deine Ordnungen befolgt, nie bin ich davon abgewichen.
6 Mein Gott, nun rufe ich dich an. Ich bin sicher, du antwortest mir. Lass mich bei dir ein offenes Ohr finden und höre mein Gebet! 7 Du rettest alle, die bei dir vor ihren Feinden Zuflucht suchen. Zeige doch auch mir deine wunderbare Liebe! 8 Bewahre mich wie deinen Augapfel! Beschütze mich wie ein Vogel seine Jungen 9 vor den gottlosen Menschen, die mich hart bedrängen, vor meinen Todfeinden, die mich umzingeln! 10 Sie haben ihr Herz verschlossen und kennen kein Mitgefühl, voll Überheblichkeit reden sie daher. 11 Wohin ich auch gehe – überall umringen sie mich. Sie warten nur darauf, mich zu Fall zu bringen. 12 Sie sind wie Löwen, die im Versteck ihrer Beute auflauern, um sie dann gierig zu zerfleischen.
13 Greif ein, Herr, komm ihnen zuvor! Wirf sie zu Boden! Mit deiner Macht rette mich vor dieser Mörderbande! 14 Bring mich vor denen in Sicherheit, die nichts als die Güter dieser Welt im Sinn haben! Du gibst ihnen schon, was sie verdienen. Sogar ihre Kinder und Enkel werden noch genug davon bekommen! 15 Ich aber lebe nach deinem Willen, darum werde ich dich schauen dürfen. Wenn ich erwache, will ich mich satt sehen an dir.”
(Psalm 17 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle 2015)
Das ist mal wieder so ein Psalm, der einen sprachlos macht. Man liest ihn, man hört ihn, und man fühlt sich unwohl. Das Problem ist noch nicht einmal, dass da jemand offensichtlich in Not ist. Es ist mehr. Da wird man mit jemand konfrontiert, der allem Anschein nach total davon überzeugt ist ganz schuldlos zu sein.
Besonders am Anfang wird das deutlich. Da stolpert man geradezu über solche Behauptungen.
“Verhilf mir zu meinem Recht. Ich komme ohne Falschheit und Lüge. Du selbst prüfst mich und kommst zum Ergebnis, dass ich unschuldig bin. Nie bin ich von Dir abgewichen.”
Das sind starke Worte, die einem besonders als Christ, aufstoßen. Wir sind ja gerade davon überzeugt nicht perfekt zu sein, nicht sündlos. Ist solche Rechthaberei nicht alttestamentlicher Glaube? Ist das nicht im Neuen Testament mit Jesus anders? Besteht nicht unser Glaube genau darin, dass wir unsere Fehler selbstkritisch zu Jesus bringen. Geht es nicht gerade um Vergebung und nicht Selbstgerechtigkeit? Hat er nicht selbst gesagt, dass er nicht zu denen gekommen ist, die fehlerlos sind, sondern ganz im Gegenteil zu denen voll von Fehlern? Wehrt sich Jesus nicht gerade gegen die, die meinen perfekt zu sein; die auf andere herabschauen?
Ist es aber nicht auch so, dass wir das zwar glauben und laut vertreten, dann aber doch anders handeln? Wir erkennen zwar unsere Fehler und nehmen Vergebung gerne an. Aber unserem Mitmenschen, der an uns schuldig wird; dem gönnen wir das nicht.
Da wurde vielleicht nur etwas Kleines angestoßen. Man hat nur ein Wort, einen Blick, aufgenommen. Doch irgendwie steckt da eine Dynamik drin, die sich wie eine Lawine verhält. Aus einem kleinen Schneeball, die den Hang herunterrollt, werden Massen an erdrückendem Schnee.
So wie eine Lawine kann sich dieser Psalm beim ersten Lesen und Hören anfühlen. Macht das David also nicht genau so, wie es nicht sein sollte?!
Den Bibelfachleuten, die da genauer drauf geguckt haben, ist aufgefallen, dass wir hier eigentlich ein ganz schlecht komponiertes Lied vor uns haben. Ihnen fällt eine stotternde Sprache auf. Die ganze Verseinteilung und Satzstellung stolpert von einem Wort zum anderen. Da haben wir kein harmonisch komponiertes Lied vor uns.
Ist das nicht auch genau so, wenn wir in Konflikte geraten? Fehlen uns dann nicht auch oft die richtigen, die passenden Worte uns zu erklären, unsere Gedanken, unsere Gefühle? Ist es nicht auch so, dass wir das Stottern und Stolpern unseres Gegenübers kaum ertragen können, wenn er seine Klage vorbringt?
Dieser 17te Psalm ist solch ein Stolperpsalm. Er ist keine theologische Abhandlung. Er ist das ganz ehrliche Bekenntnis eines Menschen, der mit sich und seinen Mitmenschen nicht mehr im Reinen ist.
Dieser Psalm ist eher die Beschreibung eines unruhigen Schlafs. Er wälzt sich von links nach rechts. Er liegt auf dem Rücken, wacht auf, schaut unendlich lang an die Decke. Dreht sich wieder um. Schläft ein. Hier hören wir vom Wunsch am neuen Morgen doch erholt aufwachen zu dürfen. Und irgendwie passiert es dann auch so. David ist sich sicher: ich werde Erholung und Befreiung finden.
Woran liegt das?
Mitten in seiner Unruhe wendet sich David an Gott.
Er klatscht seine Gerechtigkeit nicht seinem Mitmenschen ins Gesicht. Er bittet Gott, sie zu überprüfen. Immer wieder tut er das. Wenn er auch in seiner Argumentation stottert und auf dem Weg stolpert. Er fällt in die Arme Gottes. Deswegen schließt er seine Verteidigungsrede ganz besonders ab:
“Ich aber lebe nach deinem Willen, darum werde ich dich schauen dürfen. Wenn ich erwache, will ich mich satt sehen an dir.”
(Psalm 17,15)
Genau das ist die Richtung, die er schlafwandelnd, sich hier und da anstoßend, aber doch entschlossen einschlägt. Er selbst ist fest überzeugt, dass er in diesem Fall im Recht ist. Aber er weiß auch, dass sein eigenes Urteil über sich oft fehlerhaft ist.
Vielleicht kennt das auch der eine oder die andere von uns. Da hat man wirklich und ehrlich in Treu und Glauben etwas Gutes getan. Man hat es nicht nur gewollt, sondern es wirklich getan! Trotzdem gibt es Menschen, die einem unlautere Absichten unterschieben wollen. Sie trauen einem nicht. Vielleicht liegt es an der Eifersucht, die sie sich nicht eingestehen wollen. Vielleicht ist es auch etwas ganz anders. Es gibt ja wirklich Menschen, die um eigener Vorteile Willen in voller Absicht, Böses tun und es als gut verkaufen.
Kommen wir aber zurück zu David. Er flieht zu Gott. Er stellt sich ihm geradezu unübersehbar in den Weg. Er lädt uns mit diesem Stolperlied ein, ihm hinterherzustolpern.
Er stolpert in seiner kaputten Lage zu Gott, wie ein kleines Kind zum Papa, das sich an sein Bein klammert und nicht loslässt, wie zur Mutti unter den Rock.
Gott ist seine Zuflucht. Deswegen stottert er:
“Du rettest alle, die bei dir vor ihren Feinden Zuflucht suchen. Zeige doch auch mir deine wunderbare Liebe!”
(Psalm 17,7)
David drückt sich hier zweideutig aus. Denn den Vers kann man auch so übersetzen. Einige Bibelübersetzungen tun das auch so.
“Ich finde Zuflucht unter deiner rechten Hand gegen die sich so viele wehren.” “Ich suche Zuflucht in Deiner Güte, die meine Feinde nicht akzeptieren wollen.”
Viele wehren sich gegen Gott. David macht das nicht.
Genau das ist es, was Gott an ihm gefällt. Es ist nicht Davids Fehlerlosigkeit - auch wenn das jetzt in diesem Fall mal so ist. Es liegt daran, dass er sich von Gott immer wieder prüfen lässt. David fühlt sich bei ihm geborgen. Das gefällt Gott. David vertraut Gott. Deswegen ist er bereit sich korrigieren zu lassen.
Das ist die Richtung, in die er stolpert. In dieser Richtung erlebt er, dass er nicht fällt. Gottes rechte Hand ist wie die Flügel eines Vogels, mit denen er seine Küken wärmt in der Kälter der Nacht und beschützt in Anfeindungen.
Im Alten Testament finden wir immer wieder das Bild des Adlers, der sein Nest in den Felsen hat, wo keiner hinkommt. Wenn er dort oben auch noch seine Flügel über die Jungen legt, sind sie um so mehr geschützt. So ist es mit jedem von uns, wenn wir alles zu Gott bringen, was uns umtreibt.
Jesus fügt zu dem Bild des Adlers, noch etwas hinzu. Oben in den Bergen ist der Adlerhorst. Unten im Tal malt Jesus jetzt ein Huhn, eine Henne dazu. Das ist fast kitschig. Ihm geht es aber ums Prinzip. Jesus kommt zu uns herunter auf den Boden unserer Tatsachen.
“»Jerusalem! O Jerusalem! … Wie oft schon wollte ich deine Bewohner um mich sammeln, so wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel nimmt! Aber ihr habt es nicht gewollt.”
(Matthäus 23,37)
Gott hat seinen Sohn zu uns gesandt um uns seine Liebe zu zeigen. Was aber passiert ist, dass er missverstanden wird. Jesus wird eine unlautere Motivation untergeschoben.
Er sagt immer wieder: “Die Herrschaft Gottes ist ganz nahe. Kommt her zu mir. Hier ist Ruhe. Hier ist Frieden. Hier kannst Du Deine Sorgen und Deine Schuld ablegen.”
Da kommt jemand, der mir wirklich Ruhe geben kann. Ich muss nur darauf eingehen. Muss mich nur umdrehen und in seine Richtung stolpern.
Ich muss nur den Schlaf aus meine Augen reiben, mich nur in sein Blickfeld stellen. Ich brauche mich nicht vor Gott, vor Jesus verstecken. David merkt: Gott identifiziert sich mit mir, mit Dir. Er verliert Dich nicht aus dem Blick. Du bist wie sein Augapfel. Der Prophet Sacharja drückt das ähnlich aus (Sacharja 2,12):
“Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.”
Wer Dich als Kind Gottes antastet. Der tastet Gott selbst an. Wer Dich antastet, der greift in die verletzlichste Stelle, mitten ins Auge Gottes. Ist das nicht unglaublich?! So viel liegt Gott an Dir, dass Du ein Teil von ihm sein darfst.
Das gilt übrigens genauso umgedreht. Wenn Du jemand antastest, übervorteilst, Gutes nicht gönnst. Dann greifst Du Gott auch ins Auge.
Deswegen bittet David Gott, ihn zu prüfen. Er selbst ist sich sicher, dass da in diesem Fall nichts ist. Trotzdem oder gerade deswegen bittet er Gott, das abzuchecken. David fehlt der Überblick und die Tiefe dazu. Weil er das erkennt, bringt er seine ganze Verwirrung zu Gott.
Machen wir es David doch nach!
• Fliehen wir zu Jesus. Bringen wir ihm alles, was uns umtreibt.
• Bringen wir unseren Mitmenschen gleich mit. Denn Gott hat uns Beide im Auge.
• Werden wir immer mutiger im Gebet! Nehmen wir uns Zeit. Es lohnt sich.