Predigtmanuskript
Heute ist ja Nikolaustag. Ich weiß nicht, wer von Euch einen Stiefel gepackt oder bekommen hat. Manchmal steckt ja auch eine Rute aus Reisig darin. Da muss sich dann Knecht Ruprecht reingeschlichen haben. Aber wenn das Christkind sich anschließt, dürfen wir die Reiser ja gerne in den Kamin werfen, und müssen sie nicht auf dem Hintern spüren. Vor allem, weil ja eine wunderbare Fee schon am letzten Sonntag die erste Adventskerze angezündet hat. Aber mal sehen, was der Weihnachtsmann in zweieinhalb Wochen noch für uns bereit hat.
Gegen Ende des Jahres kann es einem in unserer Republik wirklich nicht langweilig werden. An Advent und Weihnachten vermischen sich auf jeden Fall ein paar Dinge, die uns heute etwas herausfordern sollen. Da kommen Erwartung, Erleuchtung, Erfüllung und Enttäuschung zusammen und bereiten uns eine besondere Zeit am Ende des Kalenderjahres. Gehen wir die vier Dinge mal in zwei Runden durch und gehen der Sache mal ein bisschen auf den Grund.
Starten wir in die ersten Runde.
Da ist zuerst die Erwartung.
“Morgen Kinder wird’s was geben … einmal werden wir noch wach ...”
So singen wir, oder das neckische Neugierigmachen:
“Ich weiß schon was, das du nicht weißt.”
Man selbst fragt sich: “Werde ich bekommen, was ich auf den Wunschzettel geschrieben habe?”
Es ist einfach so schön zu wissen, dass man beschenkt wird. Man selbst hat als Kind ja gar nicht die Ressourcen, sich das zu kaufen, was man sich wünscht. Das ist ja dann auch das Schöne an Weihnachten. Man bekommt etwas geschenkt, und das noch auf geheimnisvolle, aber sehr nette Weise. Je näher der Tag kommt, desto größer wird die Vorfreude.
Dann kommt die Erfüllung der Wünsche.
Da gibt es so unzählige Zeremonien, wie es Familien gibt. Jede scheint die Bescherung anders zu zelebrieren. Für manche Kinder ist da manchmal auch etwas Marter dabei, wenn sie artig etwas vorsagen oder -singen sollen.
Doch dann kommt die Bescherung. Gab es das, was auf dem Wunschzettel stand? Nun, das kann jeder für sich beantworten. Vielleicht war da neben der großen Freude auch das eine und andere Mal eine kleine Enttäuschung dabei. Doch der Zauber bleibt über dem Fest.
Irgendwann kommt dann die Erleuchtung.
Da hat man am Nikolaustag früh am Morgen oder spät abends davor doch einmal ein Knarren auf dem Flur gehört oder das Knistern von Tüten. Schnell war man aufgestanden und konnte gerade noch die Eltern von hinten mit einem Blick erhaschen. Oder waren sie es doch nicht?
An Weihnachten passiert das ähnlich. Da hat der Weihnachtsmann doch irgendwie dieselben Schuhe und Hose unter dem Mantel an, wie Papa oder Opa.
Man merkt: alles nur Lug und Trug um den Abend der Geschenke. Alles nur Täuschung und Erpressung, das Drohen mit dem Knecht Ruprecht und das Locken mit dem Christkind. Man wird erwachsen. Vielleicht ist der eine oder andere auch ganz dankbar, dass der große, dicke, bärtige Mann mit der rot-weißen Kleidung gar nicht existiert.
Mittendrin schleicht sich eine Art Enttäuschung ein.
Denn irgendwie hatte die Illusion etwas, das man noch länger vermisst.
Als Jugendlicher gingen die meisten meiner Schulfreunde zur Weihnachtsdisko. Die Atmosphäre zuhause war entweder zu altbacken, oder man begann sich zu streiten. Die schönsten Geschenke bekamen so schon beim Auspacken einen grauen Schleier. Nur schnell weg hier. … und doch vermisst man etwas ...
Aber gehen wir jetzt in die zweite Runde ...
… und beginnen diesmal mit der Enttäuschung.
All diese netten Märchenfiguren machen etwas mit uns. Selbst das Krippenspiel mit den allbekannten Hauptpersonen wird zum meistgesehenen Märchen an Heiligabend. Aber immerhin. Es hat was, wenn es auch Illusion ist.
Jetzt stellen wir uns aber mal vor. Das ist alles wahr, was wir da im Krippenspiel sehen, oder zumindest die Essenz. Also wirklich, wirklich und echt wahr.
Da wird ein Baby in ärmlichen Verhältnissen geboren, heute vielleicht in einer Lohnarbeiterfamilie. Sie konnte in diesem Jahr mal ausnahmsweise ordentlich sparen. Ihr Plan ist: der kleine Kerl soll unbedingt Italiener werden. Die Mutter etwas besorgt. Hauptsache, man kommt noch über die österreichische Grenze. Doch dann schafft man es doch nicht. Die Wehen setzen ein. Auf einem österreichischen Rasthof kommt zwischen ungläubig schauenden Truckern ein Baby zur Welt. Nun ist der Kleine Österreicher geworden.
Doch mittendrin und überall zu hören ein Chorgesang aus dem Himmel: “Euch ist heute der Retter geboren!” Auf der Autobahn, im Rauschen des Verkehrs, ist nichts davon zu hören.
Stell Dir vor, so ähnlich ist es wirklich vor 2000 Jahren geschehen. Da wird ein junges Ehepaar schwer enttäuscht und muss seinen Sohn in einem Stall zur Welt bringen. Doch von Ferne hört man wieder diesen Chor von Engeln aus dem Himmel, nicht mit Flügeln, sondern eher furchterregend wie Soldaten im vollen Anmarsch. Aber sie singen:
“Fürchtet Euch nicht! Euch ist heute der Retter geboren! Friede den Menschen, die Gott gefallen.”
(frei wiedergegeben aus der Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2,11 u.s.w.)
Mitten in der Enttäuschung kommt die Erleuchtung.
Die fünf Freunde vom Anfang schauen nur staunend zu. Da ist kein weich und weiß gekleidetes Engelchen mit dem Namen Christkind, sondern ein knallrotes nacktes Baby in eine Decke auf dem Stroh, das seinen ersten Schrei austößt. Ein Schrei der Erlösung.
“Euch ist heute der Retter geboren! Fürchtet Euch nicht! Friede auf der Erde allen, die Gott gefallen.”
Plötzlich gewinnt eine neue Erwartung Raum.
“Kann das wirklich wahr sein?”, fragt man sich.
Ich denke, man sollte das auch als gestandener Christ manchmal wieder tun. Unsere gewohnten, ja auch wirklich schönen, Weihnachtentraditionen haben manchmal so eine Macht, dass wir den ungläubigen fünf Freunden vom Anfang gar nicht mehr über die Schulter schauen können.
Advent lädt uns aber genau dazu ein: uns vorzudrängeln und den zu sehen, der da kommt, der gekommen ist und auch wiederkommen wird. Drängeln wir uns also durch die fünf durch, die uns den Weg versperren.
Das machen wir auf dem Weihnachtsmarkt doch auch, wenn wir an einen Verkaufstand wollen. Wir schieben uns gutgelaunt durch die Menge um an den Waffelstand zu kommen, den Glühwein in den kalten Händen halten zu können, klebrige Zuckerwatte aus dem Gesicht oder Bart zu wischen.
Dieses Jahr ist vielleicht die große Gelegenheit, sich davon nicht ablenken zu lassen. Manchmal ist es gerade das Schöne, das uns von dem, der es gemacht hat, ablenkt. Manchmal ist es gerade das Gute, das wir tun und meinen, was uns von dem, der wirklich gut ist, ablenkt.
Erwarten wir doch wieder von dem etwas, der alles gemacht hat. Erwarten wir doch von dem wieder etwas, der unsere Nähe sucht. Stellen wir uns mal vor, dass dann wirklich etwas passiert, das unerem Leben eine neue Richtung geben kann.
Genau das sind die Menschen, die Gott gefallen. Es sind die, die sich zu ihm vordrängeln. Gott lädt uns in der Bibel immer wieder ein, viel von ihm zu erwarten und sich zu ihm durchzudrängeln. Er liebt es, wenn wir uns das nicht nehmen lassen, was er uns verspricht.
»Wenn ihr dann zu mir rufen werdet, will ich euch antworten; wenn ihr zu mir betet, will ich euch erhören. Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden; ja, wenn ihr ernsthaft, mit ganzem Herzen nach mir verlangt, werde ich mich von euch finden lassen.«
(Jeremia 29,12-14a nach der Bibelübersetzung Neues Leben)
Genau dann kommt die Erfüllung.
Lassen wir uns also nicht von der Enttäuschung erfüllen, die vielleicht in diesem Jahr größer ist als sonst. Räumen wir sie dagegen aus. Lassen wir uns auf das Weihnachtsabenteuer ein uns erleuchten zu lassen.
Jesus ist gekommen, um uns mit dem Geist Gottes zu erfüllen, mit Friede, Freude, Vertrauen, immer mehr Sehnsucht nach Gott, Gesprächs- und Hörbereitschaft.
Lassen wir die Deko also dort, wo sie hingehört udn freuen uns daran. Aber lassen wir sie nicht in unser Herz. Lassen wir uns von ihr nicht den Platz rauben, der Jesus gehört. Machen wir Platz. Das sind die Menschen, die ihm gefallen.
Dann kommt er, und erfüllt unsere tiefste Sehnsucht. Stellt Euch vor, das ist wahr! Was könnte diese Wahrheit in mir, in Dir verändern? Doch dann wird das passieren, was niemand sich traut zu erwarten, aber David, der große Vorfahre von Jesus so ausdrückt:
»Der Herr wird mir antworten, wenn ich zu ihm rufe.«
(Psalm 4,4b nach der Bibelübersetzung Neues Leben)