Auch ich?!

Die Propheten im Altem Testament haben etwas gemeinsam. Sie nehmen das Unrecht in ihrem Volk nicht einfach so hin. Dabei klammern sie noch nicht einmal die Nachbarvölker aus. Dabei bleiben sie noch nicht einmal allgemein. Sie können sehr persönlich werden. Wo sie Unrecht sehen, bleiben sie nicht stumm, sondern klagen an.

Es war sicherlich nicht einfach, so allein zu stehen und als Konsequenz den rauen Wind der Gegner spüren zu müssen. Das erfordert Mut oder zeigt den Leichtsinn dessen, der sich so weit aus dem Fenster lehnt und nicht nur durch die vorsichtig geöffnete Gardine schaut. Ich denke, wir brauchen Menschen wie Micha, die den Mund auftun und nicht nur schweigend zuschauen und vor sich hin grummeln.

Was Micha jedoch auszeichnet ist, dass er sich nicht nur weit aus dem Fenster lehnt, sondern auch in seinem eigenen vier Wänden, hinter den verschlossenen Türen, sauber macht. Er bekennt öffentlich:

Den Zorn des Herrn will ich tragen – denn ich habe gegen ihn gesündigt –, bis er meine Sache in die Hand nimmt und mir Recht schafft: er wird mich ans Licht herausführen, daß ich seine Gerechtigkeit mit Freuden schaue.

Micha 7,9 (nach der Bibelübersetzung von Hermann Menge)

Micha reiht sich selbst in die Warteschlange derer ein, die eine Last mit sich herumtragen, die ihnen immer schwerer wird. Er sagt: „Auch ich bin an meinem Mitmenschen schuldig geworden!“ Es sind eben nicht immer nur die anderen. Ich selbst kann mich nicht, darf mich nicht, brauch mich nicht hinter der Gardine meiner scheinbaren Rechtschaffenheit verstecken. Denn es ist eine schlechte Idee seine eigenen Fehler mit denen anderer entschuldigen oder reinwaschen zu wollen. Solch ein Waschmittel macht es nur schlimmer, wenn ich andere noch für mein Denken und Handeln verantwortlich mache.

Micha versteckt sich nicht, sucht auch keine Ausflüchte, verleugnet nicht seine Lasten. Er reiht sich in die Warteschlange der Lastenträger ein, weil er weiß, dass er diese Lasten abgenommen bekommt. Da wartet jemand, der ihn sowohl auf seine Lasten aufmerksam macht, als auch darauf, dass er sie ablegen darf. Nicht nur das! Er wird sogar mit Freude erfüllt werden, der Freude des Entlasteten, der wieder aufatmen kann und der Freude des Dankbaren, der nun anderen helfen darf Lasten abzulegen. Denn er hat die Hände jetzt dafür frei.

Micha lehnt sich weit aus seinem Fenster heraus und ruft laut: „Auch ich bin schuldig geworden. Auch mir wurde vergeben. Auch ich habe meine Last ablegen können. Kommt rein in mein Haus, in meine Wohnung und lasst uns Gott feiern, der uns liebt, entlastet und vergibt!

Damit reiht sich Micha in eine lange Reihe von Menschen ein, die wir auch aus der Bibel kennen, Mose, David, Jesaja, Daniel und viele andere. So beendet Micha sein Buch der Weissagung mit einigen der schönsten Verse aus der Bibel:

Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die übrig geblieben sind von seinem Erbteil; der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er ist barmherzig! * Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.

Micha 7,18–19 (aus der 1984 überarbeiteten Bibelübersetzung Martin Luthers)

Mit Jesus Christus hat sich diese Weissagung erfüllt. Am Kreuz hat er unsere Schuld getragen. Zum Kreuz dürfen wir sie, ja sollen wir sie ihm bringen und dort ablegen. Denn die Sonne der Auferstehung und des erneuerten Lebens scheint schon. Lasst uns mutig sein und unsere Fenster weit öffnen, damit das Licht und die Wärme der Vergebung und Versöhnung auch in unsere Wohnung scheinen kann. …und laden wir andere ein, ihre Fenster auch zu öffnen. Warum sollten wir uns hinter unseren ‚Gardinen‘ verstecken?