Begrüßung
Herzlich willkommen in unserem virtuellen Gemeinschaftssaal. Von hier aus wünsche ich Euch ein bewahrtes und vor und in allem gesegnetes neues Jahr!!
Das vergangene Jahr hat uns vor Herausforderungen gestellt, die wir uns so nie vorgestellt hätten. Gemeindeleben ist seit vielen Monaten nicht mehr so möglich, wie wir das gekannt haben und gewohnt waren. Aber es ist nicht nur das Gemeindeleben. Es ist auch unser ganzes gesellschaftliches Leben, das herausgefordert wird. Mit dem Bruch unserer Gewohnheiten, die unserem Leben Halt geben, haben sich auch Dinge gezeigt, die wir vorher – und vielleicht immer noch – nicht sehen wollen.
So habe ich in den letzten Wochen des Jahres einige Kommentare in den Medien gelesen, die mir zu denken geben. Ich fasse sie mal zusammen.
Das ganze Jahr haben wir von Solidarität gehört, die der Kitt unserer Gesellschaft ist. Wir merken wie selten zuvor, dass wir Geselligkeit brauchen. Aber gerade als gesellige Menschen fällt es uns so schwer den zu sehen, der außerhalb unserer Geselligkeitsgrenze lebt. Wir sind uns wichtiger als der andere in seiner Befindlichkeit und Gesundheit.
So benutzen wir Mundnasenschutz für uns, aber nicht für den anderen. Wir wollen uns impfen lassen oder lassen es um unser willen, nicht um unseres Mitmenschen willen.
Eigenbrötler werden plötzlich zu Vorbildern. Und sozial ist es Abstand zu halten, Geselligkeit dagegen asozial.
Merkt Ihr, in welchen Widersprüchen wir gefangen sind? Diese Zeitungs-, Fernseh- udn Radiokommentare geben mir zu denken auf. Was machen diese Widersprüche mit mir. Wo führen sie mich an meine Grenzen, Grenzen die vorher auch schon da waren, ich sie aber nicht sehen wollte?
Ich denke, die Jahreslosung für dieses Jahr spricht genau in unsere Situation. Sie deckt etwas auf, das wir so sehr selbst brauchen und wieder neu lernen müssen. Da lesen wir doe Worte von Jesus in Lukas 6,36:
“Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.”
(Lukas 6,36, nach der Bibelübersetzung LU)
Die Jahreslosung lädt uns ein sehen zu lernen.
Predigt
Sehen lernen bedeutet, seinen Horizont, seinen Blickwinkel zu weiten.
Ein Baby, wenn es geboren wird, kann noch gar nicht deutlich sehen. Es dauert ein bisschen, bis es Menschen mit seinen Augen unterscheiden kann. Aber auch Kinder haben noch nicht den Sehwinkel Erwachsener. Das stellt sich erst mit den Jahren ein. Auf einer Internetseite zur Verkehrssicherheit lase ich, dass man erst mit 14 Jahren das volle Gesichtsfeld entwickelt hat. Mit dem Alter kann es wiederum passieren, dass nicht nur unsere Sehkraft, sondern auch dieses sich weitende Gesichtsfeld, unser Blickwinkel und Horizont sich wieder einengt.
Wenn wir Christen werden, ist das ganz ähnlich. Wir werden neu geboren und sehen zuerst einmal nur Gott, der sich übrigens dem Propheten Jesaja im Alten Testament als liebevolle Mutter vorstellt. Wie die Mutter ihr Neugeborenes nicht vergessen kann, so kann Gott seine Kinder nicht vergessen.
Er sieht sein Kleines, hält es im Arm und gibt ihm Nahrung, die es verdauen kann. Das Kleine sieht nur die Mutter. Wenn wir als Christen wiedergeboren werden, sehen wir zuerst nur Gott. Nach und nach lernen wir auch unsere Nächsten kennen und sehen. Zuerst aber als Christenbabies eben nur Gott wie eine Mutter.
Nun sagt Jesus, dass wir den Vater sehen lernen sollen
Im christlichen und jüdischen Glauben ist es so, dass Gott beide Rollen übernimmt, auch die der Mutter, meistens aber Vater genannt wird.
Gleich im Vers davor der Jahreslosung, hat Jesus davon gesprochen, dass wir uns als ‘Kinder des Höchsten’ benehmen sollen, indem wir unseren Mitmenschen lieben. Denn Liebe ist das Kennzeichen des Höchsten. Jetzt spricht Jesus von Höchsten als Vater, dem besten, eben den höchsten und dem nächsten zugleich, den liebevollsten und dem barmherzigsten. Von ihm kommen wir und zu ihm sollen wir schauen, ihn beobachten, von ihm lernen, so werden wie er.
Aber warum wird Gott in der Bibel also nicht in erster Linie Mutter genannt, sondern Vater?
Warum eigentlich? Gar nicht einmal, weil Gott uns ein patriarchalistisches, Männerzentriertes und Frauenmissachtendes Menschenbild einhämmern will. (Natürlich – viele Teile der Bibel sprechen in eine männerdominierte Welt.)
Gott geht es jedoch vielmehr darum zu zeigen, dass unsere Bilder nicht seine sind.
Männlichkeit und Barmherzigkeit widersprechen sich nicht. Gleichzeitig geht es aber auch nicht um einen weichlichen, sich anbiedernden Vater. Vielleicht ist es gerade unser kaputtes Menschenbild, das genau das nicht sehen kann. Wir sind sozusagen blind, haben eine ernste Sehschwäche, ein eingeengtes Gesichtsfeld. Nur gut, dass Jesus das heilen kann.
Denn Jesus fordert uns hier auf, Gott kennen und sehen zu lernen, wie er ist. Es geht nicht darum, wie wir ihn uns vorstellen, sondern darum, als wen er sich uns vorstellt.
Gott ist der Vater der Liebe, der Vater der Barmherzigkeit, der Vater der Vergebung, der Vater des Reichtums, der Vater des guten Weges und Lebens, der Vater der Heilung.
Davon lesen wir im ganzen Abschnitt, der unserem Jahresmotto, der Jahreslosung, folgt. Abgesehen davon ist dieser Abschnitt auch Teil einer der bekanntesten Reden von Jesus, der sogenannten Bergpredigt (nach Matthäus) oder hier bei Lukas Feldrede. Hören wir mal auf diesen Abschnitt.
“Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. 38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen. 39 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? 40 Ein Jünger steht nicht über dem Meister; wer aber alles gelernt hat, der ist wie sein Meister. 41 Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr? 42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.”
(Lukas 6,36–42 nach der Bibelübersetzung LU)
Jesus sagt, dass wenn wir Gott sehen lernen, wir auch unseren Mitmenschen sehen lernen, wie Gott ihn sieht.
Lernen wir also unseren Mitmenschen sehen.
Wir lernen ihn nicht kennen, wie er sich selbst sieht, sondern wie Gott ihn sieht. Darauf kommt es an: nicht unsere verschwommene, unklare Sicht mit eingeschränktem Blickwinkel, sondern Gottes weites, unverstelltes Gesichtsfeld, dem nichts entgeht.
Wenn Gott nun mit diesem klaren, weiten Horizont Schuld vergibt, wie sollten wir das unserem Mitmenschen verweigern? Das ist natürlich ein starker Satz. Denn was hat denn Gott mit den Fehlern meines Nachbarn zu tun? Der Kerl hat doch mir geschadet!
Nun – zuerst einmal hat Gott Dich und ihn als Menschen geschaffen.
Er ist nicht nur einfach der Vater, der im Himmel trohnt und wohnt, sondern mit beiden Beinen auf der Erde steht. Das zeigt er uns so deutlich durch Jesus, seinen Sohn. Daran haben wir uns erst an Heiligabend und Weihnachten erinnert. Wie sollten wir das jetzt schon wieder vergessen haben?!
Gott hat uns also geschaffen, uns zu Menschen und Mitmenschen gemacht. Er ist unser Vater und hat sich durch Jesus selbst zu unserem Mitmenschen gemacht. Er stellt sich in Jesus zwischen uns um Barmherzigkeit walten zu lassen.
Erinnern wir uns an ein Zweites, genauso wichtiges.
Gott kennt ganz genau die Fehler unserer Mitmenschen.
Nun zugehört und die Ohren gespitzt: Er kennt auch unsere Fehler. Er sieht also genau, ob wir kleine Splitter oder fette Balken im und vor dem Auge haben.
Menschen mit Sehschwäche kennen das. Wenn sie ihre Sehhilfen nicht tragen, ist das eine oder andere verschwommen, je nach dem, ob Kurz- oder Weitsichtig, Hornhautverkrümmung, Rot-Grün-Schwäche, Star oder irgend eine andere Plage.
Jesus erinnert uns jetzt daran, dass der Vater, der ja auch seiner ist, davon ganz genau weiß. Der Vater kennt unser aller Sehschwäche in all ihren individuellen Schattierungen, nicht nur unsere schwachen Augen sondern auch den blinden Fleck auf unserem Herzen.
Gut zu wissen, dass Gott hier der Richter ist und uns nicht in sein Geschäft reinpfuschen lässt. Er sieht uns ganz genau und klar. Er weiß nicht nur, was wir tun. Er weiß auch, was in uns vorgeht. Eben gerade, jetzt in diesem Augenblick, übrigens auch.
Gott als Richter bietet uns, bietet Dir, an uns zu vergeben. Das ist sein Wunsch als Richter: der Freispruch, Barmherzigkeit walten lassen. Dazu müssen wir nur vor ihn treten und ihn darum bitten.
“Lieber Vater, weil dein Sohn Jesus gesagt und am Kreuz gezeigt hat, dass du barmherzig bist, bitte ich dich darum: vergib mir und hilf mir meinem Mitmenschen zu vergeben. Mach mich gesund. Du bist mein Arzt, der meine verletzten Augen, mein kaputtes Herz, wieder heil machen kann.”
AMEN
Es geht also darum, dass wir lernen unseren Mitmenschen mit Gottes Augen zu sehen und uns selbst auch ansehen zu lassen. Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Jesus lädt uns ein zum Vater zu kommen.
Der Vater will uns beschenken.
Er will und kann uns mit Liebe und Bramherzigkeit beschenken. Jesus lädt uns ein, dieses Geschenk anzunehmen. Das erinnert uns an Weihnachten. Gott selbst ist durch Jesus, seinen Sohn, zu uns Menschen gekommen. Gott selbst schenkt sich uns. Gott macht sich greifbar, sichtbar. Gott spricht uns frei, wenn wir zu ihm kommen, und uns von Weihnachten nach Ostern führen lassen, den kompletten Weg.
Auf diesem Weg, den Jesus uns führt, werden wir in keine Falle tappen, in kein Loch fallen, uns an keinen Balken stoßen. Vielleicht stoßen wir uns an Jesus. Das kann sein. Genau dann haben wir aber eine Gelegenheit, ja die Gelegenheit schlechthin, Gott zu sehen, wenn wir schon so nah vor ihm stehen, dass kein Blatt dazwischenpasst.
Lassen wir uns also von ihm führen.
Er führt uns zum Vater. Er führt uns zu unseren Mitmenschen. Er lehrt uns den Vater kennen und sehen zu lernen. Er hilft uns, unseren Mitmenschen sehen zu lernen, wie Gott sie und ihn sieht.
Lassen wir uns also von Jesus im neuen Jahr führen, beschenken, vergeben, erneuern. Lernen wir diesen Vater der Barmherzigkeit kennen, der die Liebe einer Mutter in sich trägt. Lassen wir uns auf diesem Weg zu unserem Mitmenschen führen. Lassen wir uns auf diesem Weg auch unseren Mitmenschen so annehmen, wie Jesus ihn, wie Gott, der liebende Vater ihn angenommen hat.
“Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.”
(Lukas 6,36, nach der Bibelübersetzung LU)