Mit dem Unerwarteten rechnen (Apostelgeschichte 9,1-20)

Predigtmanuskript

Heute geht es darum, den Gedanken der Neugierde von letzter Woche ein wenig weiterzudenken. Es geht darum, mit dem Unerwarteten zu rechnen. Wenn wir von unerwarteten Ereignissen reden, denken wir oft an etwas Unangenehmes. Heute geht es aber um etwas unerwartet Positives, Angenehmes, mit dem wir nicht gerechnet hätten; vielleicht aber auch um eine neue Herausforderung, die wir so nicht gesehen hätten, eine Situation, eine Begegnung, einen Menschen oder Jesus selbst, der sich uns auf eine ganz neue Weise oder auf einem alten, ausgetretenen, bekannten Weg, ganz neu in den Weg stellt.

Saulus Paulus

Der Bibeltext, um den es heute geht, dreht sich um das einschneidenste Ereignis im Leben des späteren des Apostels Paulus, oder Saulus auf aramäisch. Als römischer Bürger trug man zwei bis drei Namen. In diesem Fall Saulus als jüdischer Vorname und Paulus als römischer Zu- oder Nachname. Dass sie ähnlich klingen, ist eher Zufall. Saulus ist auf jeden Fall einer der motiviertesten Nachwuchstheologen und -leiter der jüdischen Gemeinschaft. Er kommt aus einer frommen, jüdischen Familie und meint es ernst mit seinem Glauben.

Mit der Zeit entwickelt er einen Hass auf die Christen. Das starke Wachstum der christlichen Gemeinde in und um Jerusalem, ist für ihn eine Bedrohung. Dem muss mit allen Mitteln Einhalt geboten werden. Die diplomatische Haltung seines Lehrers Gamaliel, des Toptheologen der damaligen Zeit, teilt er nicht. Vielleicht hat auch Gamaliel inzwischen seine Meinung geändert. Wir wissen es nicht genau.

Paulus kann exzellent argumentieren und hat guten Zugang zu den jüdischen und römischen Entscheidungsträgern, sodass er Christen festnehmen und nach dem jüdischen Gesetz bestrafen lassen darf. Dass Jüdischsein und Christsein kein Widerspruch sein muss, ist für ihn noch verborgen (aber nicht lange). Hören wir auf die ...

… Textlesung: Apostelgeschichte 9,1-20 (nach Neue Genfer Übersetzung / NGÜ)

Saulus führte weiterhin einen wütenden Kampf gegen die Jünger des Herrn. Er drohte ihnen mit dem Tod und war entschlossen, die Gemeinde auszurotten. Auch in Damaskus wollte er die Anhänger der neuen Lehre aufspüren, um sie alle – Männer wie Frauen – in Ketten nach Jerusalem zu bringen. Zu diesem Zweck wandte er sich an den Hohenpriester und bat ihn um Briefe mit einer entsprechenden Bevollmächtigung, die er den Synagogen in Damaskus vorlegen wollte.

3Als er nun nach Damaskus unterwegs war und die Stadt schon fast erreicht hatte, leuchtete plötzlich vom Himmel her ein Licht auf. Von allen Seiten umgab ihn ein solcher Glanz, 4 dass er geblendet zu Boden stürzte. Gleichzeitig hörte er, wie eine Stimme zu ihm sagte: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« – 5 »Wer bist du, Herr?«, fragte Saulus. Die Stimme antwortete: »Ich bin der, den du verfolgst; ich bin Jesus. 6 Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt! Dort wird man dir sagen, was du tun sollst.« 7 Die Männer, die mit Saulus reisten, standen sprachlos vor Bestürzung dabei; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemand. 8 Saulus richtete sich vom Boden auf und öffnete die Augen, aber er konnte nichts sehen. Seine Begleiter mussten ihn bei der Hand nehmen und nach Damaskus führen.

9 Drei Tage lang war er blind, und er aß nichts und trank nichts. 10 In Damaskus lebte ein Jünger Jesu namens Hananias. Zu ihm sagte der Herr in einer Vision: »Hananias!« – »Ja, Herr?«, erwiderte Hananias. 11 »Geh in die Gerade Straße«, befahl ihm der Herr, »und frage im Haus des Judas nach einem Saulus aus Tarsus. Du musst Folgendes wissen: Saulus betet, 12 und in einer Vision hat er gesehen, wie ein Mann namens Hananias in sein Zimmer tritt und ihm die Hände auflegt, damit er wieder sehen kann.« 13»Herr«, entgegnete Hananias, »von den verschiedensten Seiten habe ich erfahren, wie viel schreckliche Dinge dieser Mann in Jerusalem denen angetan hat, die zu deiner Gemeinde gehören. 14 Außerdem ist er von den führenden Priestern dazu ermächtigt, hier in Damaskus alle zu verhaften, die sich zu deinem Namen bekennen.« 15 Aber der Herr sagte: »Geh trotzdem zu ihm! Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug ausgewählt, damit er meinen Namen in aller Welt bekannt macht – bei den nichtjüdischen Völkern und ihren Herrschern ebenso wie bei den Israeliten. 16 Und ich will ihm zeigen, wie viel er von jetzt an um meines Namens willen leiden muss.«

17 Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in jenes Haus. Er legte Saulus die Hände auf und sagte: »Saul, mein Bruder! Der Herr selbst – Jesus, der dir auf deiner Reise hierher erschienen ist – hat mich geschickt. Er möchte, dass du wieder sehen kannst und mit dem Heiligen Geist erfüllt wirst.« 18 Im selben Augenblick war es, als würden Schuppen von Saulus’ Augen fallen: Er konnte wieder sehen! Saulus stand auf und ließ sich taufen. 19 Und nachdem er etwas gegessen hatte, kehrten seine Kräfte zurück. Saulus war erst einige Tage bei den Jüngern in Damaskus, 20 da begann er auch schon, in den Synagogen der Stadt zu verkünden, dass Jesus der Sohn Gottes ist.

Dieser Bericht will uns daran erinnern, dass Jesus uns manchmal unerwartete Menschen in den Weg stellt, damit sie ihn kennenlernen. Dann redet er auf, für uns unerwartete Weise und zeigt, dass er uns unerwartet nahe ist.

Da sind die unerwarteten Menschen

Denken wir doch einmal nach, wen wir gerne hier unter uns hätten? Vielleicht wollen wir nur ganz ausgewählte, sympathische Zeitgenossen. Warum auch nicht? Das sind ja die, mit denen wir am meisten Kontakt pflegen. Vielleicht haben wir sie ja auch schon oft eingeladen oder lange für sie gebetet. Vielleicht erwarten wir ja auch gar nicht mehr, dass sie sich auf unseren Wunsch und Jesus einlassen.

Um so besser, wenn man sich diese Frage immer mal wieder stellt: Welchen Menschen hätten wir gerne, dass er Jesus kennen lernt? Fangen wir doch wieder an, mit Gott über konkrete Personen zu sprechen. Vielleicht passiert dann doch das Unerwartete?

Das ist vielleicht wie jemand beim Langzeittauchen zuzuschauen. Man hält selbst den Atem an und bekommt kaum Luft. Aber irgendwann taucht er doch auf, vielleicht am unerwarteten Ort und zum überraschenden Zeitpunkt.

Manchmal ist es auch so, dass Gott Menschen zusammenbringt, die auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen. Plötzlich taucht da jemand auf, den wir nicht erwartet hätten. Vielleicht reagieren wir verunsichert, oder sogar mit Unwillen. Denn so hatten wir das ja nicht gemeint, als wir mit Gott darüber sprachen.

In dem Ereignis, von dem uns Lukas berichtet, stellt sich Jesus einem Menschen in den Weg, von dem es niemand erwartet hätte. Und wenn, dann eher mit strafender Gerechtigkeit: Saulus, dem Christenhasser. Um dem ganzen noch etwas draufzugeben, führt Jesus einen ängstlichen Christen zu diesem, inzwischen tief verunsicherten, Saulus, um ihm zu helfen Jesus zu verstehen. Dass Jesus Saulus schon vorbereitet hatte, kann Ananias gar nicht glauben und ziert sich. Doch dann begegnen sich zwei verunsicherte Menschen, und Jesus handelt.

So macht er es eigentlich immer. Jeder einzelne Mensch hat seine ganz eigene Geschichte, bevor er sich Jesus anvertraut. Der ist dabei schon mit ihm oder ihr als unsichtbarer Begleiter auf dem Weg. So bereitet er Menschen vor, sich auf ihn einzulassen. Manchmal geht das schneller, ein anderes Mal langsamer, manchmal sanft und unscheinbar, dann aber auch mal direkt und abrupt. Die letzten Schritte bei Paulus waren eher abrupt. Wenige Menschen erleben das so. Aber es passiert immer wieder.

Lukas erinnert an dieses Ereignis übrigens dreimal in seiner Apostelgeschichte. Er macht das nicht nur, um Saulus Paulus eine besondere Stellung zuzumessen, sondern um immer wieder klarzustellen, dass Jesus für alle Menschen gekommen ist, Böse und Gute, Ferne und Nahe, Reiche und Arme, Menschen aus unserem Umfeld und andere von ganz woanders aus allen Nationen und Ethnien. Durch Jesus schafft Gott eine ganz neue Familie aus den verschiedensten Menschen. Das hätte so niemand erwartet.

Bleiben wir gespannt, wen Jesus uns noch in den Weg stellt. Hören wir auf seine Stimme, wie das Ananias überrascht und mit starkem Herzklopfen tut.

Denn Jesus redet auf unerwartete Weise

Vielleicht erwarten wir nicht einmal mehr, dass Gott zu uns sprechen könnte. Wir beten zwar, reden zu ihm laut oder leise. Aber dass er plötzlich in eine konkrete Situation antwortet. Das erwarten wir nicht mehr. Woran können wir nun wissen, dass es dann Gott ist und nicht unser wirrer Wunsch?

  • Zuerst haben wir einen persönlichen Eindruck, sind uns aber nicht sicher, ob Jesus uns darin begegnet oder nicht. Der Eindruck lässt uns aber nicht los.
  • Dann beten wir ernsthaft. Bitten Gott, uns zu zeigen, was es damit auf sich hat. Da ist es immer gut, sich in der Bibel auszukennen und immer wieder darin zu lesen. Wenn der Gedanke oder Eindruck ganz dagegen spricht, was sie uns lehrt, dann war der Eindruck nicht von ihm.
  • Dann suchen wir aber auch jemand (oder er bzw. sie wird uns geschickt), der uns hilft, den letzten Schritt zu tun. Wir prüfen unseren Eindruck und Verständnis von Gottes Wort mit einer zweiten oder mehreren Personen.

Das sind die normalen Schritte, um Gottes Willen in einer konkreten Situation zu kennenzulernen. Das sind auch die Schritte, die wir in diesem Bericht von Saulus und Ananias erkennen. Eines eint diese Schritte jedoch untrennbar. Es ist immer Jesus, der in der Mitte der Frage und auch der Antwort steht. Er spricht zu uns:

Ich bin Jesus, den du nicht ernst nimmst wie Saulus und Hananias. Ich bin Jesus, der für dich gestorben ist, deine Schuld bereinigt und dir in deiner Not begegnet. Ich bin Jesus, der etwas mit dir und deinem Mitmenschen vor hat. Lass dich darauf ein, lasst euch alle darauf ein.

So kommt Jesus uns oft unerwartet nah

Das ist es, was er zuerst Paulus und dann Ananias zeigt. Zuerst macht er Saulus deutlich, dass er sich mit seinen Nachfolgern total identifiziert. Wenn jemand ein Kind Gottes, einen Christen, eine Christin, verfolgt, tastet er Jesus selbst an.

Jesus identifiziert sich komplett mit Haut und Haar mit denen, die ihm ‚auf dem Weg‘, auf seinem Weg nachfolgen, auch wenn er ganz neu für sie ist. Das zeigt er Saulus Paulus: „Warum verfolgst du mich? Wenn du meine Nachfolger antastet, tastest du mich an.“ Deswegen beschreibt Paulus später auch die Gemeinde als Leib Christi, als Körper mit vielen Teilen und Jesus als Haupt (1Kor 12 und 14 etc).

Vergessen wir das nicht, wenn Dinge nicht so laufen, wie wir das erwartet hätten. Auch im Unerwarteten ist Jesus bei uns, leidet mit uns, seufzt in uns und lacht dann wieder mit uns erleichtert auf. Wir ein Teil von Jesus und wir als Familie, als geliebte Kinder Gottes. Er lässt uns nicht im Stich!

Das lässt Saulus Paulus nicht los. Er will es wissen und prüft es mit ganzem Herzen, mit all seiner Kraft. Er betet. Versucht zu Gott durchzudringen, den er so nie erlebt hat. Fastet, will nichts mehr essen, bis er es verstanden hat. Will keinem Betrug aufsitzen, nicht leichtgläubig einem Scharlatan nachlaufen. Er will nirgend woanders als in der Gemeinschaft mit Gott verstehen lernen, was es mit Jesus auf sich hat. Dabei kommt er Jesus jede Stunde, jeden, der drei Tage näher.

So findet ihn Hananias. Da treffen sich zwei verunsicherte Menschen. Ananias, der Opfer hätte werden können, wird jetzt zum Retter und Arzt. Er soll und darf Saulus die letzten Schritte zu Jesus führen. Vorher aber, war Jesus ihm selbst sehr nahe, unerwartet nahe gekommen. Er musste ihn überzeugen, dass er selbst einen Christenhasser lieb hat, umwandeln kann und retten will.

Jesus erfüllte Saulus Paulus und Hananias mit einer ganz neuen Erwartungshaltung. Auf unerwartete Weise spricht er mit den beiden. Er begegnet einem Menschen, von dem niemand das erwartet hätte. Dabei kommt er ihnen so ganz nah, wie sie das vielleicht vorher nie erlebt hätten.

Lukas will uns wieder mit einer neuen Erwartungshaltung beschenken. Rechnen wir doch auch wieder mit dem Unerwarteten! Jesus ist uns so nah. Er will zu uns sprechen, uns auf dem Weg Menschen zeigen. Lassen wir uns überraschen und suchen wir auch seine Nähe.

 Amen!