Volle Aufmerksamkeit auf Jesus (Markus 14,3-9)

Bestimmt kennt Ihr das Buch von Jules Verne, Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Es wurde auch mehrfach verfilmt und umgewandelt immer wieder neu aufgelegt und bis zur Unkenntlichkeit verändert. Geblieben ist der Titel. Es geht darum, den Mittelpunkt der Erde zu erreichen. Man kratzt nicht nur an der Oberfläche. Man will wirklich tief graben, einen Weg zur Mitte finden, sozusagen den Nabel der Welt. 

Auf diesem Weg erleben die Akteure dann auch viele Abenteuer. So ist es ja auch zu erwarten. Das macht die Geschichte spannend, interessant und lesenswert. 

Wie wird es sein in der Mitte der Erde? Wie ist das Leben dort? Gibt es dort noch mehr Menschen oder andere unbekannte Wesen? Werden die Helden ihr Ziel erreichen? Wie endet die Reise? (Wer das Buch gelesen hat, weiß, ob sie wirklich dort ankommen.)

Als mich meine Eltern mal in Kolumbien besucht haben, haben wir auch eine Tagestour zur Mitte des Landes gemacht, zum sogenannten Nabel Kolumbiens (El Ombligo de Colombia). Der Weg war gar nicht so spektakulär. Die weite Ebene dann aber schon beeindruckend. Man konnte zwar nicht die 600 Kilometer bis nach Venezuela gucken. Aber immerhin. 

Wenn wir die Adventszeit begehen, ist das auch so wie eine Reise. Weihnachten ist sozusagen die Mitte, der Mittelpunkt, das Ziel. Genau darin liegt in der Adventszeit unsere Aufmerksamkeit, oder?

Weihnachten – Jesus Christus ist geboren, der Sohn Gottes, durch den die ganze Welt geschaffen wurde. Er begegnet uns als frisch geschlüpftes Baby. Es schreit und ruft nach Aufmerksamkeit. Es hat Hunger und Durst, der gestillt werden muss. Er hat aber auch ein Ziel.

Als Jesus am Kreuz hängt und stirbt, schreit er noch einmal auf. Wieder ruft er um Aufmerksamkeit. Es scheint, sogar Gott hätte ihn verlassen und vergessen. Wo war seine Liebe hin? War er dort am Kreuz etwa nicht mehr der Nabel und Mittelpunkt der Welt? Oder war er nur der Mann der Schmerzen mit durchbohrten Händen und aufgeschlitzter Seite?

Zwischen Geburt und Tod Von Jesus passierten aber noch viele Sachen, die große Aufmerksamkeit fanden. Um eine davon dreht es sich heute. Da widmet eine Frau Jesus so viel Aufmerksamkeit, dass es fast anstößig ist. Jesus ist für sie zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden. All ihre Gedanken drehen sich um ihn. Die Umstehenden sind entsetzt. Irgendwie ist das auch wie beim ersten Weihnachten. Aber hören wir mal, was Markus uns darüber berichtet: 

Jesus war in Betanien zu Gast bei Simon, der früher einmal aussätzig gewesen war. Während der Mahlzeit kam eine Frau herein. In ihren Händen hielt sie ein Fläschchen mit reinem, kostbarem Nardenöl. Sie öffnete das Gefäß und salbte mit dem Öl den Kopf von Jesus. 4 Darüber regten sich einige Gäste auf: »Das ist ja die reinste Verschwendung! 5 Dieses Öl ist mindestens 300 Silberstücke wert. Man hätte es lieber verkaufen und das Geld den Armen geben sollen!« So machten sie der Frau heftige Vorwürfe. 6 Aber Jesus sagte: »Lasst sie in Ruhe! Warum macht ihr der Frau Schwierigkeiten? Sie hat etwas Gutes für mich getan. 7 Arme, die eure Hilfe nötig haben, wird es immer geben. Ihnen könnt ihr helfen, sooft ihr wollt. Ich dagegen bin nicht mehr lange bei euch. 8 Diese Frau hat getan, was sie konnte: Mit diesem Salböl hat sie meinen Körper für mein Begräbnis vorbereitet. 9 Ich versichere euch: Überall in der Welt, wo Gottes rettende Botschaft verkündet wird, wird man auch von dieser Frau sprechen und von dem, was sie getan hat.«

(Markus 14,3–9 nach der Bibelübersetzung Hoffnung für Alle)

Was hat das nun mit Advent und Weihnachten zu tun? Spielt diese Geschichte nicht vielmehr auf Karfreitag an? Das stimmt natürlich. Aber worum es in allen Fällen geht, ist die Aufmerksamkeit, um die gerungen wird. Wer verdient Aufmerksamkeit? Wer ruft danach? Wer widmet wem seine Aufmerksamkeit? Darum geht es immer wieder. Diese Frage stellen uns alle unsere christlichen Feste. 

Wer steht im Mittelpunkt und wer verstellt ihn vielleicht? 

Was wir zumindest bei Jesus sehen ist, dass er den Menschen, denen er begegnet, seine ganze Aufmerksamkeit widmet. Und in genau dieser Geschichte von der Frau mit dem luxuriösen Salböl sehen wir, dass sie Jesus auch ihre ganze und ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt.

Aber kommen wir doch mal zurück zu unserem Weihnachten. 

Stellen wir uns vor, wir feiern Weihnachten. Alle Lieben sind zusammengekommen. Wir haben es wirklich mal geschafft unsere Terminkalender abzugleichen. Da sitzen wir zusammen und schlemmen ganz entspannt. Unsere volle Aufmerksamkeit ist dem Festessen gewidmet, Braten bei den einen, Raclette bei den anderen oder Kartoffelsalat bei den dritten oder was ganz, ganz anderes. Nachher wollen wir noch die große Weihnachtsgala im Fernsehen anschauen oder zur Mitternachtsmesse in die Dorfkirche. Was uns besonders freut: die Mama ist auch dabei. Sie hatte eine schwere OP überstanden, und es war gar nicht klar, ob sie rechtzeitig zum Fest aus dem Krankenhaus entlassen würde. Aber alles lief viel besser als erwartet. 

Und vor allem! Ein besonderer Gast hat dafür gesorgt und wurde deswegen eingeladen. Gerade klingelt er schon an der Tür. Es ist Jesus. Ein Traum? Nein, wirklich wahr! Er kommt um mit uns zu essen, dann die Weihnachtsgala zu schauen und mit uns zu plaudern. Sicher hat er auch noch ein gutes Wort für uns. Wir freuen uns und sind schwer gespannt. 

Da sitzen wir also alle gutgelaunt zusammen und Jesus mittendrin. Wie schön. Doch plötzlich klingelt es wieder an der Tür. Alle gucken wir uns fragend an? Wer könnte das sein? Papa steht auf und öffnet die Tür. Verdutzt steht er vor der ex-Frau des Bürgermeisters. Der Skandal um sie ging durch die Presse. Sind wir die nächsten? Was will die von uns? Sonst hatten wir ja auch nicht mit ihr zu tun. 

Ihr Gesicht zeigt auf jeden Fall große Unsicherheit. Stehen da wirklich Tränen in ihren Augen? Es wird peinlich. Sie hat gehört, dass Jesus zu Gast ist und bittet hereinkommen zu dürfen. Der will auf Nachfrage irgendwie nicht zur Tür kommen. Soll sie doch reinkommen, meint er. Die Weihnachtsgala könnte man ja auch mit ihr zusammen schauen. Entspannt sitzt er auf dem Sofa und bittet den nicht geladenen Gast sich neben ihn zu setzen. 

Alle schauen sich betreten an. Die Stimmung ist irgendwie ausgebremst. Naja, wird schon. Man will Jesus ja nicht vergrämen. Doch was dann passiert, sprengt den Rahmen. Die Gute zückt ein teures, superluxoriöses Parfüm und fängt an Jesus damit zu besprühen. Hat sie nichts Besseres zu tun? Dann fängt sie noch an bitterlich zu weinen. 

Die Aufregung ist jetzt groß. Aus allen platzt die Entrüstung. Das teure Parfüm auf dem guten Sofa. Das schöne Fest! Hätte es nicht gereicht, es als Geschenk verpackt unter den Baum zustellen? Und jetzt wo es alle sehen. Sprengt es nicht den Rahmen des Beschenkens? Hätte sie nicht einen Scheck übergeben können für das neu eingeweihte Frauenhaus der Gemeinde oder das Krankenhaus im Senegal? 

Ich beende hier einfach mal die Neuinterpretation der Geschichte, die uns Markus überliefert hat. Aber so ähnlich war es damals in Betanien. Beide Male passiert etwas ähnliches. 

Da ist die Familie, die Gruppe der geladenen Gäste des Festes auf der einen Seite. Jesus ist ihnen wichtig. Aber irgendwie zeigt sich, dass sie ihn auch für sich vereinnahmen. Es ist ihr persönlicher Jesus. Sie freuen sich ehrlich über ihn. Immerhin sind sie durch seine Hilfe wieder als komplette Familie zusammen. Bei Markus ist es der vom Aussatz geheilte Simon, bei unserer Familie die aus dem Krankenhaus entlassene Mama. 

Doch plötzlich schenkt Jesus einem ungeladenen und irgendwie auch unerwünschten Gast seine volle Aufmerksamkeit. Die Spieß wird umgedreht. Hatte man sich gefreut, dass Jesus unsere Festfamilie mit Aufmerksamkeit beschenkt, raubt diese Frau das alles. 

Jesus sieht das anders. Er merkt, dass er plötzlich alle Aufmerksamkeit von der Frau geschenkt bekommt. Sie bittet nicht um Aufmerksamkeit, sie schenkt Aufmerksamkeit. Das ist der große Unterschied. 

Die Frau stellt Jesus in den Mittelpunkt und macht das auf eine Art und Weise, die nicht nur überrascht, sondern auch anstößt. Ja, das stimmt und ist sicherlich richtig. Doch Jesus ist die absolute Mitte, das Ziel, der Inhalt ihres Lebens, des Glaubens, ihrer Hoffnung. Alles, was vorher ihr Leben erfüllt hat, macht plötzlich keinen Sinn mehr. Sie fühlt sich beschenkt einfach durch die Anwesenheit von Jesus und beschenkt ihn jetzt mit voller Aufmerksamkeit. 

Irgendwie muss etwas schon vorher in ihr passiert sein, das all ihre alten Werte über den Haufen geworfen hat. Irgendwie muss sie Jesus schon erlebt haben oder wollte ihn unbedingt erleben, kennenlernen immer mehr, bei ihm sein. Sie spürt, dass er mehr als nur ein privater Gast ist. Die Frau lässt sich auf jeden Fall total und ganz von Jesus ausfüllen. 

Die anderen regen sich auf und denken an viele gute Sachen. Jesus haben sie dabei total vergessen. Jetzt wird sichtbar, was vorher verborgen gewesen ist. 

Jesus war vielleicht der Ehrengast, aber nicht der Inhalt des Festes. 

Darum geht es Jesus. Er wartet darauf, dass wir ihm volle Aufmerksamkeit schenken. Und er freut sich darüber. Dabei dürfen wir ruhig mal alles andere vergessen. Lassen wir Jesus mal ganz unser Sein erfüllen, unser Planen vergessen und alles Gute, was wir im Sinn haben. Hier geht es darum zu fragen, wer oder was die Mitte unseres Lebens ist, unserer Gemeinde vielleicht auch. Es geht nicht um große Taten und Aktionen. Es geht allein um Jesus.

Diese Geschichte ist eine Einladung zum Mittelpunkt des Lebens vorzustoßen, zum Nabel der Welt. Lassen wir Jesus doch auch zu unserem persönlichen Nabel werden, den von uns selbst, von unserer kleinen Welt, die uns so groß scheint. Schneiden wir ihn mal ganz ab von dem, was uns sonst noch hält und abhält ihm wirklich zu begegnen. 

Das ist auch der Sinn von Weihnachten. Jesus schreit um Aufmerksamkeit als Baby in der Krippe und als Mann am Kreuz. Die Hirten kommen, drei Magier und am Schluss ein römischer Offizier und ein Kapitalverbrecher. Dazwischen viele andere. Das ist die Gesellschaft, in die uns Jesus einlädt. Denn sie schenkt ihm die Aufmerksamkeit, die zu ihm passt. Machen wir es doch auch.

Übrigens: Wie er uns angenommen hat, wird er es auch mit anderen tun. Es geht also nicht nur um uns. Gemeinsam sind wir zu seinem Fest eingeladen. 

Amen