Blickwechsel (Apostelgeschichte 3,1-16)
Da sind Johannes und Petrus, zwei der 12 Apostel von Jesus. Sie waren von Beruf Fischer und aus einer anderen Provinz, ein paar Tagereisen entfernt. Drei Jahre waren sie mit Jesus unterwegs gewesen. Nun fanden sie sich in Jerusalem wieder und mussten auf ihren beruflichen Ertrag verzichten. Sie hatten es während der drei Jahre mit Jesus gelernt ihm zu vertrauen und erlebt, dass immer genug da war. Große Sprünge konnten sie nie machen. Mit Jesus zusammen waren sie aber mehr als zufrieden.
Jetzt waren es gut zwei Monate her, dass Jesus am Kreuz getötet und begraben wurde. Am dritten Tag war er auferstanden von den Toten und den 12 und über 500 anderen erschienen. 40 Tage war er als der Auferstandene immer wieder mit ihnen zusammen gewesen. Dann war er von Gott zu sich zurückgeholt worden und hatte zehn Tage danach seinen Stellvertreter, den Heiligen Geist Gottes, des Vaters, auf seine Nachfolger gesandt und dann auf viele andere. Der große Gott, der Schöpfer und Befreier, hatte sich wieder klein gemacht und war zu den Menschen gekommen, die sich, die ihr ganzes Leben, ihm anvertrauten.
In Jerusalem war seitdem immer wieder Außergewöhnliches passiert. Das führte zu Auseinandersetzungen mit den religiös und politisch Einflussreichen und hatte besonders mit der Feststellung der Apostel zu tun, dass Jesus auferstanden war.
Lukas berichtet von einem der ersten Ereignisse, bei dem ihm etwas Besonderes auffällt. Er richtet den Blick von unseren menschlichen Möglichkeiten zum Vertrauen auf Jesus.
Heute geht es darum nachzudenken, wie wir Christen unsere eigenen Möglichkeiten und Kräfte einordnen sollen? Was hat das mit der Gestaltung unseres Lebens zu tun, unserer Gemeinde, mit der Begegnung zu Menschen, die Hilfe brauchen?
Hören wir auf den Bericht, den Lukas uns im dritten Kapitel seiner Apostelgeschichte gibt.
(Textlesung: Apg 3,1-17)
Da ist nun der Mensch, dem alle Möglichkeiten genommen waren, der fast aller Kraft beraubt war, abhängig von Wohltätern, erniedrigt tagtäglich Almosen zu erbetteln. Wenigstens gab es Menschen, die ihm zumindest diese Möglichkeit gaben an einem strategisch günstigen Platz zu sitzen und um Almosen zu bitten. Almosen geben ist einer, der großen Gebote des jüdischen Glaubens (übrigens auch anderer Religionen). Der Bettler saß nun vor dem Tempel, aber nicht darin. War draußen.
Vielleicht hatte er sich auch schon daran gewöhnt. Der eine oder andere Bettler will ja auch gar nicht aus seiner Situation heraus. Er hat ein Geschäftsmodell entdeckt, das ihm guten Gewinn bringt. Er wird zwar nicht entlohnt. Er gewinnt aber etwas. Seine Arbeit ist das Warten und die offene Hand. Doch dieser Mann ist gelähmt, wie Lukas bemerkt. Er ist angewiesen auf den guten Willen anderer. Vielleicht ist sogar seine Familie angewiesen auf jede noch so kleine Münze oder Gabe, die er tag-ein tagaus erbettelt. Eine erniedrigende Situation.
Diese Gedankenspielerei, die uns vielleicht durch den Kopf geht, ist Lukas hier ganz fremd. Für Johannes und Petrus spielt es auch keine Rolle. Sie sehen den Menschen, wie er ist. Sie sehen ihn genau an und wollen, dass er zurückschaut. Es geht ihnen darum, dass sich Blicke treffen, dass sich Menschen wirklich begegnen. Sie gehen nicht an ihm vorbei. Sie schauen nicht unsicher und seltsam bewegt und ganz knapp an diesem gelähmten Bettler vorbei. Sie bauen eine Beziehung auf. Vielleicht hatten sie ihn auch schon an anderen Tagen gesehen. Doch jetzt war der Tag, an dem sie auf ihn aufmerksam wurden oder auf ihn aufmerksam gemacht wurden.
Ich denke, dass dies der erste wichtige Punkt ist, den wir von Johannes und Petrus lernen können. Sie lassen sich auf ihr Gegenüber ganz ein. Ganz egal, über wieviel Kraft oder Ressourcen wir verfügen. Sich auf Menschen einlassen, kann jeder lernen. Stimmt, Lernen. Es ist eigentlich das, was man am schnellsten verlernt und am langsamsten verinnerlicht. Da ist soviel, das uns ablenkt, von dem wir uns ablenken lassen, dem wir uns entziehen.
Jesus will unsere Blicke jedoch nicht in erster Linie auf Dinge lenken, sondern auf Menschen. Er lässt sich auf uns ein, wenn wir uns am Boden wiederfinden und möchte dazu auch unseren nächsten Christenmenschen benutzen. Er will auch unsere eigenen Blicke lenken, damit wir den Menschen an unserer Seite ganz „erblicken“. Johannes und Petrus lassen sich auf Jesus als Blickelenkerganz ein.
Ob sie schon wussten, dass der Bettler von Geburt an gelähmt war, ist unklar. Wahrscheinlich erfahren sie es im Verlauf der Begegnung oder des Tages. Doch ohne diesen Blickwechsel, mit dem alles begann, hätten sie es nicht erfahren. Ohne diesen Blickwechsel wäre nichts Besonderes passiert in Jerusalem, im Leben des gelähmten Bettlers, im Tagesablauf von Johannes und Petrus.
Wenn wir uns das Ereignis anschauen, merken wir, dass es den beiden sogar um weit mehr geht, als sich auf die Not ihres Gegenübers einzulassen.
Sie wollen sich ihm nicht entziehen. Sie wollen ihm aber vor allem Jesus nicht entziehen.
Sie haben keine Münze zur Hand, schenken dem Gelähmten dafür ihre ganze Aufmerksamkeit und merken, dass Jesus auch auf ihn aufmerksam geworden ist. Wahrscheinlich sogar schon viel früher. Wenn auch alle abgelenkt waren, Jesus nicht. Der Heilige Geist Gottes wartet sozusagen schon an der Seite des Bettlers. Er bettelt mit, schaut aber nicht ins Portemoinee, sondern in die Herzen der Passanten. Während Johannes und Petrus sich auf den Bettler einlassen, gehen viele andere Menschen an den dreien vorbei. Mitten im Meer der Menschen macht Lukas auf die Insel dieser drei aufmerksam. Jesus als Vierter daneben und wartend, ob die anderen ihn einbeziehen.
Vielleicht waren Johannes und Petrus gerade aus Bethanien gekommen. Dort waren sie oft zusammen mit Jesus von Lazarus, Maria und Marta aufgenommen worden. Kost und Logis hatten sie also entweder dort oder woanders. Vielleicht auch bei der Schwester von Barnabas, die in Jerusalem ein Haus hatte. (Barnabas war der, der später mit Paulus auf die erste Missionsreise ging.) Ein regelmäßiges Einkommen hatten Johannes und Petrus jedenfalls nicht. Aber sie hatten Freunde, die sich um sie kümmerten und gemeinsam mit ihnen im Vertrauen auf Jesus unterwegs waren – erfüllt vom Heiligen Geist und immer wieder neu gefüllt, wenn es leer in ihnen wurde.
Nun stehen Johannes und Petrus vor dem Bettler und werden auf Jesus aufmerksam. Sie fassen in ihre leeren Taschen und merken gleichzeitig, dass sie nicht allein sind. Jesus ist da, nicht sichtbar und doch wirksam.
Genau in dieser Situation merken sie wieder einmal, worauf es ankommt: Jesus und nichts als Jesus. Den können und wollen sie niemand vorenthalten.
Dreimal machen Johannes und Petrus es sehr deutlich (in Vers 5, 12 und 16 lesen wir das), dass Heilung letztendlich nicht von ihnen kommt, sondern von Jesus. Es kommt letztendlich nicht auf die Finanzkraft an, wenn Hilfe nötig ist, sondern auf Jesus. Es ist der Glaube an Jesus und nichts anderes, was zählt und sich am Ende auszahlt. Das ist natürlich einfacher gesagt, als getan. Oder ist es doch leichter als gedacht? Seinen Blick auf Jesus richten?!
Es ist natürlich nicht so, dass wir jetzt unser Geld für uns behalten und nicht mehr spenden sollen. Lukas stellt uns hier aber die Frage nach dem Stellenwert und der letztendlichen Wirksamkeit. Worauf richten wir unsere Blicke?
Johannes und Petrus nehmen sich selbst auch nicht wichtig. Vielmehr richten sie ihre Blicke weg von sich und dem Geheilten auf Jesus. Der Geheilte macht dasselbe. Jesus ist es, auf den es ankommt. Von ihm sollen wir alles erwarten. ER will mit den uns anvertrauten Gaben etwas machen. Und wenn wir keine haben oder sehen, will er selbst durch unser Vertrauen auf ihn handeln.
Jesus will mit unseren Lücken wuchern, will in unsere leeren Taschen, in unser leeres Herz, investieren. Er will Menschen wirklich segnen, Freude bereiten, ihr Leben füllen, Heilung bringen. Er will heilende Blicke mit uns wechseln und durch uns mit anderen.
Was macht der Geheilte eigentlich? Er saß jahrelang vorm Tempel und läuft jetzt hinein. Es ist kein religiöses Gebäude mehr. Es ist jetzt mit Gott erfüllt und er selbst auch. Er läuft und lobt, springt und singt von Gott. Er ist Johannes und Petrus sicherlich dankbar für ihren Blickwechsel. Dieser Geheilte richtet seinen Blick jetzt jedoch ganz auf Gott, den Schöpfer und Erneuerer des Lebens.
Johannes und Petrus machen dasselbe. Erst dann richten sie ihre Blick auf die herbeigelaufene Menge:
„Ändert euren Blick! Auf Jesus kommt es an. Ihr habt ihn ignoriert; sogar ans Kreuz gebracht. Doch er ist auferstanden und will auch euch, auch dir, neues Leben geben: Vergebung, Versöhnung, Heilung, Frieden, Freude. Schau auf ihn! Richte deine Blicke weg von deinen Träumen hin auf ihn und seine Gedanken über dich, ‚Gedanken des Friedens‘, wie der Prophet Jeremia es lange vorher schon geschrieben hat. Bring deine Krankheit, deine Fehler, deine Schuld, dein Alles, zu ihm, damit er dich davon befreien und dich neu erfüllen kann.“
Jesus! Kenner meiner und deiner Unwissenheit, Überwinder deiner und meiner Möglichkeiten und Kraft unseres Lebens. Komm in Gottes Gegenwart! Wechsel deinen Blick, schau dein Gegenüber an und lasst euch gemeinsam von ihm, von Jesus anschauen! Machen wir das auch als Gemeinde: richten wir uns Blick auf Jesus! …und lassen wir uns von ihm leiten.